Schwarzes Prisma
bewusstlos. Die Schwarzgardisten überprüften die Augen eines gefallenen Kameraden, und wenn der Halo gebrochen war, schlitzten sie ihm die Kehle auf.
»Nur dass wir, wenn eine Gruppe nur noch aus einer Person besteht, unserem Leben selbst ein Ende setzen werden«, erklärte Samila. Es war für einige Menschen ein dorniger theologischer Punkt, auch wenn es schon vorgekommen war. War Selbstmord eine Sünde, wenn man wusste, dass man wahnsinnig werden und wahrscheinlich Unschuldige verletzen oder töten würde? »Ihr seid das Prisma, Ihr könnt einen Sonderdispens erteilen.«
»Künftige Generationen würden glauben, dies bedeute, dass ein Sonderdispens notwendig ist«, meinte Talon Gim stirnrunzelnd. Er hatte schon immer sehr eindeutige theologische Ansichten vertreten.
Maros Orlos trat vor. »Lord Prisma, wir haben bereits alle Wandler, von denen wir wussten, dass sie zu weit fortgeschritten waren, um im Kampf noch von Nutzen zu sein, in die Befreiung geschickt. Was ist hier das größere Wohl? Dass wir Dinge tun, wie wir sie immer getan haben, oder dass wir eine ganze Stadt retten?«
Das war natürlich keine Frage. Gavin zitterte. »Ich denke, ein solches Opfer würde Orholam ehren. Ich werde jedem von Euch einen … besonderen Segen geben, während Ihr diese Last schultert. Ich bin … zutiefst beschämt von diesem Akt der Hingabe. Zutiefst dankbar.«
Dies war jedenfalls keine Lüge.
Nachdem er die Entscheidung getroffen hatte, der Befreiungsklasse zu erlauben, bis zum Tod zu kämpfen, statt durch sein Messer befreit zu werden, traf sich Gavin trotzdem noch mit jedem Einzelnen. Er nahm ihnen die Beichte ab, hörte sich ihre Sorgen über das Sterben an und segnete sie. Es war genau das Gleiche, was er auch anderenfalls getan hätte – abzüglich des Tötens. Aber für Gavin war es etwas vollkommen anderes. Im Allgemeinen machte ihn das, was er tun musste, so krank, dass er ihren Worten nicht seine volle Aufmerksamkeit schenken konnte. Er versuchte es. Er tat so, als ob. Er wusste, dass sie sein Bestes verdienten.
Aber heute gelang es ihm. Sie sprachen nicht wirklich zu ihm, während sie redeten; sie sprachen zu Orholam. Gavin war lediglich ein Werkzeug, das ihnen ihre Beichte leichter machte. Was sie taten, war ein Akt der Frömmigkeit. Es war ein Opfer.
Für andere mochte es sich nicht allzu sehr von dem unterscheiden, was einige Menschen jedes Jahr bei der Befreiung taten. Es würde mit einem toten Wandler enden, der mutig in den Tod gegangen war. Aber ohne die Bürde, ihr Blut vergießen zu müssen, konnte Gavin es zum ersten Mal deutlich sehen. Diese Menschen waren Helden.
Wenn Gavin nicht die ganze Welt und Orholam persönlich hintergangen hätte, indem er sich als sein eigener Bruder ausgab, wäre ihm die Befreiung vielleicht in jedem Jahr derart heilig erschienen. Es sollte ein Grund zum Feiern sein, aber Gavin hatte es gefürchtet. Immer.
Während er nun mit jedem Wandler betete, konnte er beinahe glauben, dass Orholam zuhörte.
Samila Sayeh war die Letzte. Sie war eine Frau, deren Schönheit jeder noch so kritischen Betrachtung standhielt. Selbst mit über vierzig war ihre Haut beinahe makellos. Einige Lachfältchen, aber ansonsten rein und leuchtend. Sie war schlank. Verblüffend blaue Augen vor dem Hintergrund athashischer, olivfarbener Haut. Tadellos gekleidet.
»Ich hatte eine Affäre mit Eurem Bruder, müsst Ihr wissen«, begann sie.
Gavin erstarrte. Er wusste, dass er, Dazen, keine Affäre mit Samila Sayeh gehabt hatte – was nur eines bedeuten konnte: Sie wusste Bescheid. »Manchmal tut ein Mann gern so, als sei nichts gewesen zwischen ihm und einer alten Liebe«, sagte Gavin hastig. »Vor allem, wenn es ein großer Fehler war.«
Sie lachte. »Ich habe mich im Lauf der Jahre oft gefragt, ob Ihr so gut seid, dass Ihr nie ertappt wurdet, oder ob alle, die Euch bloßstellen könnten, ihre Gründe haben, es nicht zu tun?« Sie sah ihn an, aber er schwieg. »Wisst Ihr, Evi hat sich Eure Mauer angesehen. Sie sagte: ›Dass Gavin ein Superchromat ist, ist mir völlig neu. Er sollte gar nicht in der Lage sein, ein derart perfektes Gelb zu schaffen.‹ Und wisst Ihr, was sie danach sagte? Sie sagte, dass Orholam Eure Anstrengungen gesegnet haben müsse. Dass es ein Beweis dafür sei, dass Ihr seinen Willen erfüllt. Und alle nickten dazu. Könnt Ihr das glauben?«
Ein Frösteln überlief Gavin.
»Gavin hätte eine Mauer geschaffen, die einen Monat gehalten hätte, und damit geprahlt,
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