Schwarzes Prisma
Rücken. Das kalte Wasser schloss sich über seinen Ohren und dämpfte alle Geräusche bis auf das verzweifelte Hämmern seines Pulses.
Das Ufer erhob sich anderthalb Schritt über das Wasser, hoch genug, dass Kip selbst auf dem Rücken liegend den Mann sehen konnte. Die Fackel des Mannes erhellte in ihrem flackernden, orangefarbenen Licht ein herrisches Gesicht. Sogar gewärmt im Fackelschein hatte dieses Gesicht etwas elementar Kaltes, ein unangenehmes Grinsen, das sich in den Winkeln dieses Mundes verbarg. Der König – denn Kip hegte keinen Zweifel daran, dass dieser Mann König Garadul war – hatte die dreißig noch nicht erreicht, wurde aber bereits kahl. Die noch verbliebenen Haare reichten ihm bis auf die Schultern hinunter. Er hatte eine vorspringende Nase über einem schmalen, tadellosen Bart und dichte, schwarze Brauen. Der König schaute stromaufwärts zum anderen Ufer hinüber, wo die Hunde seine falsche Fährte gefunden hatten, und selbst im Licht der Fackel war eine hervortretende Ader auf seiner Stirn zu erkennen. Seine wütende Frage war kaum mehr als ein Murmeln durch das Wasser, das Kips Ohren umschloss.
Dann drehte der König sich um, gerade als Kip begann, sich stromabwärts von ihm zu entfernen. Und er drehte sich nach links, in Kips Richtung. Kip bewegte keinen Muskel. Er spürte, wie in dem kalten Wasser zwischen seinen Beinen Wärme aufblühte.
Es war nur die Fackel direkt zwischen dem König und Kip, die die Jungen rettete. Sein Blick wanderte über sie hinweg, aber geblendet von diesem Licht in der Dunkelheit sah er nichts. Er drehte sich um, stieß einen Fluch aus und verschwand.
Kip trieb den Fluss hinunter und konnte kaum glauben, dass er noch lebte. Das Wasser um ihn herum war kalt, und die Sterne waren Nadelstiche in Orholams Mantel über ihm. Sie waren schöner, als es ihm je bewusst gewesen war. Jeder Stern hatte seine eigene Farbe, seine eigene Schattierung; strahlende Rubinrottöne, verblüffende Saphirtöne und hie und da sogar ein schwer fassbares Smaragdgrün. Kip trieb vielleicht zwanzig Schritte in absolutem Frieden, verzaubert von der Schönheit.
Dann prallte er gegen einen Felsen. Er traf ihn mit dem Fuß und wirbelte um ihn herum, so dass er seitwärts trieb. Dann erfasste ein anderer, beinahe untergetauchter Fels sein Gewand und zog ihn mit dem Gesicht nach unten ins Wasser. Er keuchte und ruderte mit den Armen, eiskalt vor Angst, als sein Kopf durch die Wasseroberfläche brach und er begriff, wie viel Lärm er gemacht hatte.
Ein kleines Stück weiter flussabwärts hatte Sanson den Kopf aus dem Wasser gehoben und starrte Kip voller Entsetzen an. Wie konnte Kip solchen Lärm machen? Kip wandte beschämt den Blick ab. Eine lange Minute trieben sie schweigend weiter, starrten in die Dunkelheit und warteten ab, ob irgendwelche Soldaten erschienen. Sie taten ihr Bestes, die Felsen zu meiden, die Beine stromabwärts gerichtet, während sie mit den Händen in kleinen Kreisen paddelten, um über Wasser zu bleiben. Aber niemand kam.
Sie trieben so dicht wie möglich nebeneinander, obwohl Kip wusste, dass es unklug war. Zwei voneinander getrennt treibende Leichen mochten nicht bemerkenswert sein, aber zwei, die Seite an Seite trieben? Trotzdem, er entfernte sich nicht von Sanson. Stille legte sich über die Jungen, als sie der Brücke immer näher kamen, an der an diesem Morgen ihre Freunde gestorben waren. Es schien bereits so lange her zu sein …
Als sie die Brücke passiert hatten, dauerte es nicht mehr allzu lange, bis sie in die Stadt hineintrieben, wo der Fluss in einem schmaleren, tieferen Bett floss, zu beiden Seiten gesäumt von großen Felsen. In regelmäßigen Abständen überspannten stabile Holzbrücken das Wasser.
Teile der Stadt standen immer noch in Flammen, obwohl Kip nicht wusste, ob das daran lag, dass sie aus Materialien erbaut waren, die weniger stark entflammbar waren, oder daran, dass das Feuer sich in manchen Stadtteilen langsamer ausgebreitet hatte. Schon bald trafen sie auf die erste Leiche. Ein Pferd. Immer noch an einen Wagen voller Orangen geschirrt, hatte es in einem Teil der Stadt festgesessen, der jetzt nur noch schwelte. Wahnsinnig geworden von dem Feuer war das Tier in den Fluss gesprungen. Der Wagen war ihm gefolgt und hatte es entweder zerquetscht oder ertränkt. Überall lagen Orangen.
Kip dachte, dass es vielleicht das Pferd und der Wagen von Sendinas Familie waren. Sanson, der niemals zu übertriebener Sentimentalität neigte,
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