Schwarzes Prisma
Sie schien nach dem Wort »Chromeria« zu suchen, konnte es aber nicht finden. Sie bemerkte es und wirkte zornig, angstvoll. Es war ein Beweis, dass sie wirklich starb. »Du lernst, was du brauchst, aber du vergisst mich nicht. Vergiss dies nicht. Hör nicht auf ihn, verstehst du mich? Er ist ein Lügner. Du wirst mich in dieser Angelegenheit nicht enttäuschen, Kip. Du lernst, und dann tötest du ihn, hast du begriffen?«
»Ja, Mutter.« Sie redete, als hätte sie König Garadul gekannt. Wie konnte sie ihn gekannt haben?
»Kip, wenn du mich je geliebt hast, räche mich. Schwör es bei deiner wertlosen Seele, Kip. Schwör es, oder ich schwöre bei Orholam, dass ich dich als Geist heimsuchen werde. Ich werde nicht … zulassen …« Sie verlor den Gedanken.
Kip schaute zu Sanson hinüber, der seinen Blick stumm und entsetzt erwiderte. Die Fingernägel seiner Mutter bohrten sich tiefer in sein Fleisch, und ihr sehendes Auge schien beinahe in Flammen zu stehen, seine Aufmerksamkeit zu verlangen, sein Versprechen. Er sagte: »Ich schwöre, dass ich dich rächen werde, Mutter, bei meiner Seele.«
So etwas wie Frieden stahl sich in ihre Züge und ließ sie weicher wirken. Dann lachte sie leise und zufrieden und irgendwie grausam – bis ihr Gelächter abbrach. Ihre Hand fiel von Kips Unterarm und hinterließ blutige Spuren. »Ich werde dich nicht im Stich lassen, Mutter. Ich werde sofort zur …«
Sie war tot.
Kip starrte sie an, unerklärlich benommen. Er schloss ihre schrecklichen, blutunterlaufenen Augen. »Bist du verletzt?«, fragte er Sanson.
»Hm?«, fragte Sanson. »Ich?«
Kip funkelte ihn an. »Nein, du Genie, ich spreche von der toten Person.« Es war grausam, gedankenlos.
Tränen stiegen in Sansons Augen auf. »Es tut mir leid, Kip. Ich habe versucht, sie wegzubringen. Es war zu spät.« Er stand am Rand eines Zusammenbruchs. Kip war ein Arschloch.
»Nein, Sanson. Nein, es tut mir leid. Rede nicht so. Es ist nicht deine Schuld. Hör mir zu. Wir müssen sofort handeln, nicht nachdenken. Wir sind in Gefahr. Bist du verletzt?«
Sansons Augen wurden klar, und er reckte das Kinn vor. Er sah Kip fest an. »Nein, dieses Blut ist alles … nein, mir geht es gut.«
»Dann müssen wir auf der Stelle aufbrechen, solange es dunkel ist und regnet. Sie haben Hunde. Sie können uns aufspüren. Es ist unsere einzige Chance.«
»Wohin sollen wir denn gehen?« Seltsam. Ganz plötzlich war Kip der Anführer. Lag es daran, dass er einen neuen Quell der Stärke gefunden hatte, oder war Sanson einfach so schwach? Nein, das darfst du nicht einmal denken, Kip. Er vertraut dir. Kann das nicht genug sein?
Was ist, wenn ich seines Vertrauens nicht würdig bin?
»Ich werde ein Wandler werden«, sagte Kip. »Schätze ich. Also müssen wir zum Meer. Wir sollten in Garriston ein Schiff finden können, das zur Chromeria fährt.«
Sansons Augen weiteten sich; er dachte offensichtlich an den Schwur, den Kips Mutter ihm abgenommen hatte, aber er sagte nichts als: »Wie kommen wir nach Garriston?«
»Wir fahren zuerst mit einem Floß den Fluss hinab.« Kip wurde in diesem Moment klar, dass er die Börse verloren hatte, die Meister Danavis ihm gegeben hatte. Er wusste nicht einmal, wann. Wenn sie es also überhaupt den Fluss hinunter schafften, würden sie für die Reise zur Chromeria nicht bezahlen können.
»Kip, die Soldaten hatten einen großen Kreis um die ganze Stadt gebildet. Wenn sie noch immer auf ihren Posten sind, werden wir zweimal an ihnen vorbei müssen. Und die Stadt steht immer noch in Flammen. Der Fluss könnte blockiert sein.«
Sanson hatte recht, und aus irgendeinem Grund machte das Kip wütend. Er riss sich zusammen. Es war nicht Sansons Schuld. Kips Augen fühlten sich heiß an. Es war so hoffnungslos. Er blinzelte hektisch. »Ich weiß, es ist dumm, Sanson.« Er konnte seinem Freund nicht in die Augen schauen. »Aber ich habe keine anderen Ideen. Du vielleicht?«
Sanson blieb lange still. »Ich habe am Ufer etwas totes Holz gesehen, das wir benutzen könnten«, antwortete er schließlich, und Kip wusste, dass es seine Art war, ihm zu sagen, dass er ihm vertraute.
»Dann lass uns gehen«, erwiderte Kip.
»Kip, willst du … ich weiß nicht, Lebewohl sagen?« Sanson deutete mit dem Kopf auf Kips Mutter.
Kip schluckte, die Schatulle mit dem Messer so fest umklammert, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Was sollte er sagen? Es tut mir leid, dass ich ein Versager war, eine Enttäuschung? Dass ich
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