Schwarzes Verlangen
Ring hatte es gewusst, hatte … ihn gewarnt?
„Ist irgendwas?“, fragte Tink.
„Ja. Wir werden verfolgt.“ Er warf seinen Kaffeebecher weg und machte dasselbe mit dem von Tink.
„Hey“, grummelte sie. „Da war noch was drin.“
„Entschuldige. Ich wollte nur nicht, dass du dich verbrennst.“ Eilig marschierte er los, schob sich durch die entgegenkommenden Menschen und zog Tink hinter sich her. Mit der freien Hand zückte er einen Dolch.
„Wer verfolgt uns denn?“
„Einer von Williams Jungs.“ Nein. Vergiss es. Wahrscheinlich sind alle von Williams Abkömmlingen hier. Die vier waren wie Ameisen: niemals allein.
„Was sind die eigentlich?“
„Ärger.“ Und auf keinen Fall würde er sie auch nur in Tinks Nähe lassen. Vorher würde er sie umbringen.
Jep. Zeit zum Töten, beschloss er. Er hatte die Regenbogenbande oft genug gewarnt, was geschehen würde, wenn sie sich an Tink ranmachten. Nur William zuliebe hatte er die Warnung überhaupt ausgesprochen. Doch mit der Rücksicht war es jetzt vorbei. Die Jungs hatten nicht auf ihn gehört. Jetzt würde Kane Nägel mit Köpfen machen.
„Ich werde dich in einem der Geschäfte verstecken, in Ordnung? Ich muss michmal mit den Jungs unterhalten, und ich will nicht, dass du …“
„Kane!“ Tink verschwand.
Nein, nicht Tink. Kane. Von einer Sekunde auf die andere eilte er nicht mehr mit seiner Frau an der Hand den Gehweg entlang. Stattdessen stand er in einem schmalen Gang, umgeben von waberndem weißem Dunst. Ihm entfuhr ein Protestschrei, als er sich hastig nach links und rechts wandte, auf der Suche nach Tink.
Wild wühlte er sich durch den Nebel und fand – nur noch mehr Nebel. Er sah auf seinen Ring, doch es war keine Reflexion mehr darin zu erkennen. Panik ergriff Besitz von ihm. Wo war er? Was war passiert? Nur wenige Wesen hatten die Macht, jemanden zu teleportieren, ohne ihn zu berühren. Nur die Herrscher der Griechen und Titanen und …
Die Moiren, begriff er, und eine Übelkeit erregende Furcht stieg in ihm empor. Sie hatten ihre Kräfte benutzt, um ihn von New York in ihren Sitz in einem der niederen Himmelreiche zu versetzen.
Eilig lief er den Gang entlang. Er war schon einmal hier gewesen und kannte den Weg, und er musste nicht erst hinsehen, um zu wissen, dass die Wände aus Tausenden und Abertausenden verknüpfter Fäden bestanden. Jene Fäden vibrierten, erwachten zum Leben, stellten Szenen aus seinem Leben dar – aus der Vergangenheit, aus der Gegenwart, vielleicht sogar aus der Zukunft –, doch er gestattete sich nicht, stehen zu bleiben und sie zu betrachten.
Sorgsam achtete er darauf, so wenig wie möglich zu atmen. Die Luft war mit Ambrosia versetzt, die ihn gefügig machen sollte, vielleicht sogar anfällig für Suggestionen. Tink glaubte, dass die Moiren so arbeiteten. Dass sie das Schicksal nicht wirklich kontrollierten, sondern es eher massierten, drückten, kneteten und tricksten, bis ihre Opfer wie Wachs in ihren Händen waren und blindlings dem Weg folgten, den die Moiren für sie vorgezeichnet hatten.
Nicht mit mir . Nicht mehr.
Er erreichte das Ende des Gangs und trat in die Webwerkstatt ein. Die drei Hexen saßen auf hölzernen Hockern, tief über den Webstuhl gebeugt, und das lange weiße Haar hing ihnen strohig über die Schultern.
Klotho hatte altersfleckige Hände und spann die Fäden.
Lachesis hatte knorrige Finger und wob diese Fäden ineinander.
Atropos hatte pupillenlose Augen und schnitt die Fäden ab.
„Schickt mich zurück. Auf der Stelle.“ Als er das letzte Mal hier gewesen war, hatte er äußersten Respekt gezeigt. Hatte in beherrschtem Ton gesprochen, den Blick gesenkt gehalten. Diesmal stellte er scharf seine Forderungen und sah die Hexen direkt an. Der Ausgang des Ganzen war einfach zu wichtig.
„Du bist falsch abgebogen“, krächzte Klotho gackernd.
„So schrecklich falsch“, ergänzte Lachesis.
„Falsche Wege führen an schreckliche Enden“, sagte Atropos ohne jede Regung in der Stimme. „Du hättest die andere heiraten sollen. Eine von den beiden.“
Nein. Nein, das würde er nicht glauben. Tink gehörte zu ihm, und er gehörte zu ihr. Er wollte keine andere – würde keine andere nehmen.
„Es ist immer noch Zeit, den Kurs zu ändern“, fügte Klotho hinzu.
„Oh ja, es ist noch Zeit“, plapperte Lachesis ihr nach.
„Nur so wirst du die Pein überstehen“, sagte Atropos.
Kane ging auf sie zu, in der vollen Absicht, die Weiber zu schütteln, bis sie sich
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