Schwarzfeuer: Roman (German Edition)
völlig unrettbar hielten, aber die meisten Gefangenen im Turm waren dort, weil sie Geheimnisse kannten, die den Celestianern wichtig waren, weil sie politisch heikel waren, oder – überaus selten – weil ihre Körper Gefäße für eine verderbte Macht darstellten; ihr Tod hätte bedeutet, die Widerwärtigkeit zu entfesseln, die in ihrem Fleisch gefangen war.
Bitharn hoffte, dass der Mann, den sie brauchte, Teil der ersten Gruppe war. Sie wollte nicht daran denken, was geschehen konnte, wenn er zur letzten gehörte.
Vor ihr auf dem Sims brannte eine Kerze, die nach süßen Gewürzen roch: Zimt und Nelken, Hibiskus und Muskat. Während sich die Dämmerung über Städte und Dörfer legte, erblühten auf der Erde winzige Lichtknospen, Echos des fernen Glanzes ihrer eigenen Kerze. Für eine kurze Zeit schimmerten sie in der Abenddämmerung wie Irrlichter, die kurz in blauem Nebel auftauchten, bis sich die Nacht endgültig über die Stadt senkte und Bitharn in dem umschatteten Glas bloß noch das Spiegelbild der Flamme ihrer eigenen Kerze sah, die ankerlos in der Dunkelheit schwebte.
Von der anderen Seite des Raums beobachtete Versiel sie, obwohl er vorgab, in dem Buch auf seinem Schoß zu lesen. Sorge furchte sein verhärmtes Gesicht. Er hatte niemals jung ausgesehen, selbst als flaumbärtiger Knabe von sechzehn nicht, und das Leben hatte ihm in den anderthalb Jahrzehnten seither tiefe Furchen der Sorge in die Stirn gegraben.
Vor Sonnenaufgang würde er weitere Falten haben.
Bitharn bedauerte es, aber es ließ sich nicht vermeiden. Einen der Meinen für einen der Deinen, hatte die Spinne gesagt, und Bitharn hatte sich auf diesen Handel eingelassen.
Die Erinnerung an diese Begegnung hatte sich in ihre Seele eingebrannt. Es war eine mondlose Nacht gewesen, weitaus kälter als diese, und die Reste des Winters hatten in der Luft gehangen. Sie hatte Monate darauf verwandt, die Nachtseiten aller Städte von Craghail bis Cailan nach jemandem zu durchkämmen, der ihre Worte der Spinne überbringen konnte. Dann hatte sie von Angst gepeinigt auf die Antwort gewartet.
Es war eine Vorladung gewesen. Nach Aluvair, Stadt der Türme, Hauptstadt von Calantyr. In ihr Heimatland, sofern sie jemals eins besessen hatte. Bis weit nach Mitternacht hatte Bitharn allein auf einer marmornen Bank vor dem Tempel des Schweigens gesessen und zugesehen, wie Mondlicht auf dem zugefrorenen Teich tanzte, und alles getan, damit ihre Beine auf dem kalten Stein nicht erfroren. Sie hatte schon geglaubt, dass die Spinne überhaupt nicht kommen würde. Dann, zwischen zwei Atemzügen, war die Frau auf einmal da, eingehüllt in einen Pelz, der weicher und schwärzer war als der sternenlose Himmel. Sie war lautlos aus der Dunkelheit getreten, und ihre Augen waren unendlich dunkel, unendlich kalt gewesen. Bei der Erinnerung schauderte es Bitharn noch immer.
»Einen der Meinen für einen der Deinen«, sagte die Spinne. »Du hast einen meiner Schüler in der Himmelsnadel. Bring ihn nach Cardental am zweiten Vollmond nach Grünsaat, und du wirst deinen Ritter zurückbekommen.«
»Unversehrt.« Das war das einzige Wort, das Bitharn zwischen ihren erstarrten Lippen hatte hervorbringen können.
Die Mundwinkel der Spinne hatten sich daraufhin ganz leicht verzogen. »Natürlich.«
Dreimal war der Mond gekreist und gefallen seit dieser mitternächtlichen Begegnung. Etwas weniger als ein Monat war noch übrig … Aber heute Nacht stand sie in der Himmelsnadel, und vor Sonnenaufgang würde sie den Dornenlord frei haben.
»Geht es dir gut?«
»Natürlich«, antwortete Bitharn und zwang sich zu einem Lächeln, als sie sich vom Fenster abwandte. Außerdem zwang sie sich dazu, sich nicht von ihrem Gesichtsausdruck verraten zu lassen, auch wenn die Sorge in Versiels Frage sie bis ins Mark traf. Er war einer ihrer ältesten Freunde.
Zudem war er auch der Hüter der Schlüssel für die Himmelsnadel, und heute Nacht musste eins von beiden schwerer wiegen als das andere. Bitharn hatte ihre Entscheidung getroffen, bevor sie hergekommen war. Die Liebe hielt sie auf diesem Pfad, auch wenn sie es nicht wagte, dieses Wort laut auszusprechen. Sollte die einzige Möglichkeit zur Sicherung von Kellands Freiheit darin bestehen, ihre Freunde zu verraten, ihre Überzeugungen und den Glauben, in dem sie aufgewachsen war, seitdem sie als ein verwaistes Klosterkind auf den Stufen des Tempels gewimmert hatte … dann wäre ihre einzige Überlegung, wie sie es am besten
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