Schwarzfeuer: Roman (German Edition)
an ihrem Kinn, die glänzten wie rosafarbener Obsidian. »Ich bin nicht mein Gesicht. Ihr habt mir das gesagt. Mich gelehrt. Der Verlust der Eitelkeit ist … nichts. Weniger als nichts. Ich lebe. Ich diene. Euretwegen. Kein … geringes Geschenk.«
»Es hätte mehr sein sollen. Es tut mir leid«, flüsterte Asharre.
»Nein. Es sollte Euch leid tun, wenn Ihr aufgebt.« Die Erleuchtete stemmte sich in den Kissen hoch und setzte sich aufrecht hin. Ihre blauen Augen brannten. »Dann … wäre es eine Verschwendung. Eine Verschwendung aus Mitleid. Seid nicht nach Schattenfall gegangen, um Euch zu ergeben. Geht. Geht zum Hohen Solaros. Helft ihnen. Kämpft. Mit Schattenfall war es noch nicht zu Ende.«
Tränen brannten in Asharres Augen. Sie konnte sie nicht fließen lassen. Nicht vor Evenna. »Vergebt mir«, sagte sie und stolperte aus dem Krankenzimmer.
Mit hoch erhobenem Kinn eilte sie aus den Behandlungsräumen, ohne sich groß zu überlegen, wohin sie ging. Weg von hier. Das war alles, was zählte.
Als ihr bewusst wurde, dass sie zu den Ewigen Gärten unterwegs war, zögerte Asharre. Sie hatte diesen Teil des Tempels und die dort lebenden Erinnerungen seit Oralias Tod gemieden … aber sie hörte keine Trauer in dem sanften Rascheln von Ahorn und blühenden Ulmen, und die Lieder unsichtbarer, zwitschernder Vögel sprachen von Erneuerung, statt von Jammer. Der morgendliche Nebel war dem Sonnenschein gewichen, und die Schönheit des Ortes war nach der Trostlosigkeit Schattenfalls Balsam für ihre Seele.
Jetzt ging sie an den gepflegten, regelmäßig angelegten Gärten mit ihren Krokussen und Schneeglöckchen vorbei, vorbei an den Rosenranken, die im Sommer weiß und golden leuchten würden, jetzt aber nur gerieftes Grün zeigten. Das silberhelle Gelächter der Springbrunnen zog sie an, genauso wie die Düfte der Heilkräuter.
Die Kräutergärten waren wie schon immer der wildeste und süßeste Ort der Kuppel. Irgendeine kleine Magie erhielt die Pflanzen das ganze Jahr hindurch grün. Obwohl das Jahr noch jung war, standen die Kräutergärten in voller Blüte. Silberne Salbeiblätter breiteten sich über Teppichen aus Thymian aus, bedeckt von winzigen Blüten; Schafgarbenstängel und die Nadelspitzen des Rosmarins griffen gemeinsam nach der Sonne und verströmten ein würziges Durcheinander aus Düften. Im Schatten der Linden, die sich entlang der Pfade wiegten, wuchsen Winterminze und Wermut.
Asharre strich im Vorübergehen mit den Fingerspitzen über ihre Blätter und zerdrückte sie, um ihren Duft hervorzulocken. Wermut und Winterminze, die beiden heiligsten Heilkräuter. Celestias Geschenk an ihre sterblichen Kinder. Sie wuchsen im Schatten so leicht wie in der Sonne, sodass sie gepflanzt und genutzt werden konnten, wo das Licht der Strahlenden nicht hinreichte.
Ihre Schwester hatte stets Winterminze und Wermut bei sich getragen. Winterminze zur Linderung von Schmerz und zum Überdecken unangenehmer Gerüche; Wermut wegen seiner heilenden Eigenschaften und seiner Bitterkeit. Es war ein kleiner Trick, Winterminze oder Wermut einem Trank beizumischen, aber Oralia hatte immer gesagt, dass die Kunst eines Heilers zur Hälfte darin bestehe, Vertrauen zu wecken. Der Glaube des Patienten heilte ebenso sehr wie der Glaube der Erleuchteten. Sie hatte diese Pflanzen geliebt, so wie sie die Menschen geliebt hatte, die sie heilte. Diese Liebe hatte sie angetrieben. Oralia hatte ihre Schlachten nicht immer gewonnen. Manchmal war die Verletzung zu schwerwiegend, die Krankheit zu weit fortgeschritten, ein alter Körper zu zerbrechlich. Manchmal hatte sie verloren. Aber sie wandte sich niemals von einem Kampf ab, selbst wenn ein Sieg nur darin bestehen konnte, am Ende Schmerz und Angst zu lindern.
Asharre ging langsam durch den Garten, atmete seinen bittersüßen Duft ein, drückte dann den Rücken durch, straffte die Schultern und machte sich auf die Suche nach Thierras.
Er war nicht in seinem Arbeitszimmer. Die Gehilfin, welche die Fenstersimse abstaubte, sagte, der Hohe Solaros sei zu den Übungshallen hinuntergegangen, und dort fand Asharre ihn schließlich auch.
Thierras hatte die Ellbogen auf eine Balustrade aus Goldholz gesetzt und sah zu, wie einige noch in der Ausbildung befindlichen Ritter auf dem abgetretenen, von Kreideringen bedeckten Boden unter ihm gegeneinander kämpften. Das Klappern von Holzschwertern auf Schilden hallte in der Übungshalle wider, zusammen mit den Gesängen der Novizen.
Alle diese
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