Schwarzfeuer: Roman (German Edition)
Gestank aus einer Gerberei … aber Bitharn musste ihm helfen, musste es versuchen. Sie trat aus den Bäumen. »Was ist mit dir passiert?«
Der Junge sah in ihre Richtung. Bitharn prallte zurück. Die Flecken auf seiner Wange waren breiter und tiefer geworden. Jetzt waren sie schwarze Rillen in seinem Gesicht, deren Inneres nass und körnig glänzte. Die Haut zwischen den Rillen war runzlig und knotig, als wäre sein Gesicht eine Maske, die gleich herabrutschen wollte. Einzig seine Augen waren menschlich, und darin stand die nackte Angst.
»Seid Ihr wirklich?«, flüsterte er. Seine herabhängenden Lippen verzerrten die Worte so sehr, dass sie ihn kaum verstehen konnte.
»Ja.«
»Bitte.« Tränen rannen über sein zerstörtes Gesicht. »Bitte … wenn Ihr wirklich seid, so helft mir!«
»Wie?« Sie war nicht gesegnet; sie konnte ihn nicht heilen. Sie wusste nicht, ob Kelland ihm hätte helfen können. Das Gebrechen des Jungen war offensichtlich unnatürlichen Ursprungs, und es gab Grenzen, wenn Magie auf Magie traf. Welcher Natur diese Grenzen waren und wo sie lagen, das wusste Bitharn nicht mit Bestimmtheit, aber sie wusste, dass sie nichts zu seiner Heilung beitragen konnte.
Er wollte nicht geheilt werden. »Ein Messer. Ein Pfeil. Ihr habt einen Bogen. Seid mir gnädig! Bitte! Sie werden mich holen kommen. Ich war ein Dieb … aber habt Mitleid mit mir, bitte. Ich habe nur gestohlen, weil ich es brauchte. Seinen Geschmack brauchte. Seid barmherzig!«
»Nein«, flüsterte Bitharn entsetzt. Sie konnte ihn nicht heilen, aber ein anderer konnte es. Vielleicht gab es in Cardental oder einer anderen Stadt längs des Flusses einen Gesegneten. Malentir konnte vielleicht helfen. Die Dornen konnten heilen – auf andere Weise und mithilfe dunklerer Mächte, aber ihr Geschick war weithin bekannt. Manche Leute sagten, sie seien die besten Heiler in Ithelas. Sie mussten die Opfer ihrer Befragungen am Leben erhalten, und Malentir war sehr mächtig. Vielleicht konnte er Geschwüre in Fleisch zurückverwandeln. »Ich werde einen Heiler finden.«
»Bitte.« Er wollte aufstehen und brachte es nicht zustande. Das von dem Geschwür befallene Bein zog ihn wieder herab. »Sie werden kommen.«
»Ich werde dich verteidigen.«
»Das könnt ihr nicht. Ihr könnt mich nicht vor meinen Sünden retten. Ich wollte … ich wollte das Feuer unter dem Berg. Unwürdig. Ich habe es berührt. Ich habe es gewagt, ich habe es verschlungen … und ich habe gebrannt. Meine Strafe ist der Preis … aber werdet Ihr mir vergeben? Bitte? Oh, Strahlende, vergib mir. Vergib mir! Ich wollte.« Er sprach in die Luft hinein, schluchzend, und sah Bitharn nicht noch einmal an.
Die Bergarbeiter kamen. Bitharn hörte, wie sie Blätter aus dem Weg traten und Zweige zerbrachen. Sie verfluchte sich als eine Närrin und einen Feigling, doch sie zog sich ins Gebüsch zurück, um sich zu verstecken.
Aber sie beobachtete das Geschehen. Sie konnte nicht anders, sie sah zu.
Schnell und wild fielen sie über ihn her. Sie jubilierten nicht, sie schrien nicht. Der Bergarbeiter an der Spitze band den Mann an der Leine an einen Baum, wie einen Hund, und alle fielen mit ihren schwarzen Messern über den Jungen her. Sie schnitten das Geschwür von seinem Bein und stopften sich die triefenden Stücke in den Mund, während er mit glasigen Augen zuschaute. Sie rissen ihm die Knochen vom Leib und fertigten daraus Werkzeuge. Mit schnellen, groben Schnitten stellten sie Spitzhacken und Schwengel aus den langen Knochen der Arme und Beine her, Schaufeln und Spachtel aus den breiten Knochen von Hüfte und Schulter. Die anderen Werkzeuge, die sie mitgebracht hatten, waren ebenfalls aus Knochen gefertigt. Bitharn hatte es nicht bemerkt, schmutzig wie sie waren.
Es war keine Folter, und es war keine Schlächterei. Beide Worte deckten einen Teil des Geschehens ab, aber was sie sah, war wilder, grimmiger. Bitharn hatte das Gefühl, einen alten Ritus zu beobachten, etwas aus den längst vergangenen Tagen, als die Clans der Weißen Meere das Blut ihrer Feinde tranken und sie lebend, an Händen und Füßen durchbohrt, für ihre Götter im Eis zurückließen.
Der Junge rührte keinen Finger zu seiner Verteidigung, und die Bergarbeiter sprachen kein einziges Wort. Das einzige Geräusch war das Scharren ihrer Stiefel, das Schmatzen, mit dem Messer das Fleisch aufrissen, und das Pfeifen des angeleinten Mannes, der sich dem Gemetzel entgegenreckte, während er mit der Zunge blutige Gischt
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