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Schwarzfeuer: Roman (German Edition)

Schwarzfeuer: Roman (German Edition)

Titel: Schwarzfeuer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Merciel
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von Cardental gab es keine Verteidigungswälle, bis auf eine moosbewachsene Palisade und eine irdene Mauer, die so erodiert war, dass Bitharn sie kaum noch erkennen konnte. Der Palisade fehlten mehr als die Hälfte ihrer Holzpfosten. Ein unbefestigter Feldweg verlief durch die breiteste Lücke dorthin, wo Berge und Tal zusammenkamen. Bergarbeiter hatten mit ihren Spitzhacken Pockennarben im Antlitz dieser Berge hinterlassen, die schwach durch den nebligen Regen zu erkennen waren.
    Innerhalb dieser Mauern war die Stadt ein winziges, eingefallenes Ding. Von der Hälfte ihrer Bauten hatte man die Steine abgetragen. Etwa zweihundert Häuser mochten noch unversehrt sein, und davon standen viele an Straßen, die allmählich die Wildnis für sich zurückeroberte. Einige der Straßen waren eher grün als grau. Junge Bäumchen wuchsen aus leeren Fenstern, während braune, kahle Efeuranken hineingriffen.
    »Wo sollen wir uns mit ihr treffen?«, fragte Malentir.
    »Am Armenscheiterhaufen, unter dem Galgenbaum, um Mitternacht.« Sie zeigte auf den Baum, der außerhalb der nördlichen Palisade stand: Eine ausladende Kastanie, deren Äste bleiche Ringe zeigten, wo sie von den Stricken der Henker aufgeschürft waren. Daneben lag eine breite, flache Grube, darin die Asche unzähliger Scheiterhaufen. Der Galgenbaum war nicht weit entfernt von den Mauern der Stadt, aber doch genügend, dass er nach Einbruch der Nacht außerhalb der Reichweite ihrer Fackeln lag. »Die Spinne hat eine Vorliebe für Theatralik.«
    »Allerdings. Aber es ist eine vernünftige Wahl. Ein Fremder kann den Galgenbaum leicht finden, und die Bewohner dieser Berge nehmen ihre Spukgeschichten sehr ernst. Jeder, der sich in die Dunkelheit hinauswagt und uns sieht, wird uns wahrscheinlich für Geister halten und in sein Bett zurückflüchten … falls überhaupt noch jemand hier in der Nähe ist.«
    In Malentirs letzten Worten, so dachte Bitharn, lag ein seltsamer Anflug von Vorahnung, aber sie bezweifelte, dass er seine Überlegungen weiter ausführen würde, wenn sie ihn darum bat, also nickte sie lediglich. Gewöhnlicher Aberglaube besagte, dass Vergewaltiger und Mörder, denen bei ihrem Tod die Absolution verwehrt blieb, für immer aus dem Paradies der Strahlenden ausgesperrt waren und am Ort ihrer Hinrichtung umgingen. Ihre Seelen waren dazu verdammt, nach Narsenghal zu gehen, aber in Vollmondnächten, so wollten es die Geschichten, wurde der Schleier zwischen den Welten dünner, und einige von ihnen schlüpften zurück, um die Lebenden zu verleiten, ihren Platz in der Hölle einzunehmen.
    Es war nur eine Geschichte, aber sie hatte wenig Zweifel daran, dass jeder Dorfbewohner, der das Pech hatte, in dieser Vollmondnacht über den Galgenbaum zu stolpern, schon bald auf die eine oder andere Weise seinen Göttern begegnen würde. Sie hoffte, dass die Menschen in Cardental über Gebühr abergläubisch waren. Dies würde vielleicht alles sein, was sie in dieser Nacht beschützte.
    Bitharn zog sich in die Deckung des Waldes zurück und wartete darauf, dass die Nacht hereinbrach. Während der graue Himmel tintenblau wurde, beschlich sie die Furcht. Was wäre, wenn sie alles auf eine Lüge gesetzt hatte? Was, wenn die Dornen Kelland getötet hatten und beabsichtigten, ihren Teil der Abmachung durch eine Leiche oder eine menschliche Hülle mit zerstörtem Geist zu erfüllen? Es würde dem Buchstaben ihres Versprechens Genüge tun, ihn »unverletzt« zurückzugeben, aber nur weil er außerstande wäre, jemals wieder etwas zu empfinden.
    Alte Zweifel, sie alle, aber sie tauchten jetzt wieder auf, als sie da zitternd im Regen saß. Bitharn schloss die Augen und versuchte zu beten, aber die Worte fühlten sich leer an. Sie hatte alles getan, was sie tun konnte. Ihre Gebete würden binnen Stunden erhört werden oder auch nicht. Die Wiederholung der Worte würde nichts ändern.
    Sie öffnete die Augen und starrte in den Himmel hinauf. Es hatte aufgehört zu regnen, aber Wolken verdeckten Mond und Sterne. Unmöglich zu erkennen, wie spät es war.
    Marlentir an ihrer Seite regte sich. »Sie ist hier.«
    »Woher wisst Ihr das?«
    »Ich kann sie spüren. Das können wir alle.« In seiner Stimme lag etwas Unterwürfiges, seltsam bei einem so arroganten Mann. »Es ist ein Teil dessen, was sie tut. Wir, die wir ihre Gaben teilen, können … aus weiter Entfernung die Kraft ihres Segens spüren.«
    Bitharn war sich nicht sicher, ob sie das verstand, aber es kümmerte sie nicht. Sie

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