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Schwarzfeuer: Roman (German Edition)

Schwarzfeuer: Roman (German Edition)

Titel: Schwarzfeuer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Merciel
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schlimmer sein als das, was er in Ang’arta erlitt.
    Sie könnte diesen Preis auch später noch zahlen. Hier und jetzt galt ihre einzige Sorge der Notwendigkeit, ihren Verfolgern so lange zu entkommen, bis sie den Dorn gegen Kelland eingetauscht hatte. Sie hatte geglaubt, sie seien zu früh dran – es war kaum nach Grünsaat, und bis Vollmond waren es noch drei Wochen –, aber Malentir hatte ihr versichert, dass es keine Rolle spielte. Er sagte, die Spinne würde wissen, dass er frei war, und vor der vereinbarten Zeit kommen, um ihn zu holen. Bitharn konnte nur hoffen, dass das der Wahrheit entsprach.
    Die Sonne hatte ihren Zenit überschritten, als sie das Ende des Teufelskamms erreichte. Grüne Triebe lugten zwischen den rissigen Felsen hervor. Eichen und Kastanien zeigten ihre ersten Frühlingsknospen. Bitharn stieß einen Seufzer aus und schlüpfte dankbar in den Wald, wo sie auf vertrautem Terrain schneller vorankam.
    Es war kein Jäger, der den Hügel heraufkam. Es war ein Junge, barfuß und in einem Kittel, der viel zu dünn für das Wetter war. Er war vierzehn oder ein wenig jünger. Sein linker Fuß war übel verdreht, aber er stolperte trotzdem weiter. Allerdings ziemlich unbeholfen; das war der Grund, warum Bitharn sich so mühelos hatte heranschleichen können. Er verursachte so viel Lärm, während er durch den Wald ging, dass er sie gar nicht hören konnte.
    Bitharn wollte dem Jungen gerade etwas zurufen, wollte ihm ihren Umhang anbieten oder fragen, was ihn so dringend in den Wald getrieben hatte, als er den Kopf zum Teufelskamm hinüberwandte und sie sein Gesicht sah. Der Ruf erstarb ihr in der Kehle.
    Sein Gesicht war aufgebläht und bleich, unterlegt mit einer violetten Verfärbung wie von einer alten Prellung. Tintenschwarze Spritzer befleckten die Winkel seiner Lippen und sprenkelten seine Wangen bis hinauf zum Ohr, sodass sie wie die Fratze eines Lächelns wirkten.
    Nun stand der Junge da, und seine Brust hob und senkte sich, und Bitharn erkannte, dass die purpurschwarzen Spritzer keine Flecken waren, sondern Wunden, die sich durch seine Wangen gefressen hatten, als hätte er seinen Mund mit Lauge vollgesogen und darauf gewartet, dass sie von selbst einen Weg nach draußen fand.
    Zu schockiert, um sich zu rühren, hockte sie sich ins Gebüsch, bis der Junge wieder zu Atem gekommen war und unter den Bäumen verschwand. Er ging, so schnell ihn sein versehrter Fuß tragen wollte, nach Norden, auf den öden Kamm zu. Als ihr der Gedanke kam, ihm zu folgen, ertönte aus dem Wald ein weiteres Krachen. Noch jemand kam.
    Ein Gefühl von Falschheit schien sich durch die Luft zu wälzen, scharf wie das Kribbeln vor einem Sturm. Bitharn drückte sich dichter auf den Boden. Sie wusste nicht, was kam, aber sie begriff mit einer plötzlichen, wilden Verzweiflung, dass sie nicht gesehen werden sollte. Es gab keinen Grund dafür, und das machte ihr fast ebenso große Angst wie das Grauen selbst. Sie war kein Kind und neigte nicht dazu, bei eingebildeten Gefahren zusammenzufahren … und doch war sie irgendwie gewiss, dass das, was durch den Wald kam, viel schlimmer war als der Junge mit dem durchlöcherten Gesicht. Das Kinn in die Erde g edrückt, atmete Bitharn flach durch den Mund und betete, da ss, wer immer – was immer – es war, sie nicht finden würde.
    Die Äste teilten sich. Vier Männer traten hindurch. Sie waren dunkel, von der Sonne verbrannt, und trugen Bergarbeitergewänder, die an den Säumen schwarz von fettigem Kohlenstaub waren. Der Umstand, dass ihre Kleider und ihre Hautfarbe nicht zusammenpassten, war kaum das einzig Merkwürdige an ihnen. Sie hatten sich vor Kurzem die Köpfe geschoren, und ihre Kopfhaut schimmerte weiß durch die Stoppeln nachwachsenden Haares. Blasen bedeckten den Kopf eines jeden Mannes.
    Die Männer trugen Spitzhacken und Schaufeln auf den Rücken. Ein jeder hatte außerdem ein langes Messer aus Knochen blank an der Hüfte baumeln. Die Messer waren mit etwas Dunklem beschmiert. Kein Blut; dafür hatte es die falsche Farbe und war auch zu körnig. Sie war zu weit entfernt, um sicher zu sein, aber es sah aus, als hätten sie die Klingen in teerigem Sand gewälzt.
    Das Gefühl von Falschheit kam nicht von ihnen. Es kam von dem fünften Mann, demjenigen an der Spitze der Gruppe. Demjenigen mit einem Halsband, das an stählernen Ringen hing, die durch Narbengewebe getrieben waren. Er hatte keine Augen mehr. Glitschige, rosige Fleischstriemen füllten die

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