Schwarzfeuer: Roman (German Edition)
aus der Luft auffing. Sehr bald war der Junge tot, obwohl das Schneiden noch eine Weile danach weiterging.
Bitharn wartete, bis sie fertig waren. Dann wandte sie sich ab und übergab sich leise im Wald.
Dunkelheit fiel über das Land, bevor sie den Felsen auf dem Teufelskamm erreichte, wo sie Malentir zurückgelassen hatte. Be i Nacht war der öde Kamm wie ein Blick nach Narsenghal hinein, wo die verdammten Geister der sündhaften Toten rastlos umherstreiften. Die Spalten zwischen den Steinen waren schwarze Untiefen, die Steine selbst ein Mosaik aus gebrochenem Silber. Mondlicht schimmerte in dem Rauch, verwandelte die emporsteigenden Schwaden in Wirbel aus treibendem Licht und bedeckte die Hänge mit einem perlmuttfarbenen, traumähnlichen Nebel.
Zu ihrer Überraschung wartete der Dornenlord bei ihrer Rüc kkehr auf sie. Bitharn hatte halb erwartet, dass er fortgegangen war, obwohl sie nicht so genau wusste, warum. Er konnte gehen, wann immer er wollte; sie hatte nicht mehr Kontrolle über ihn als über einen Löwen an einer Leine aus Zwirn.
Gekleidet in geschlitzte Gewänder aus Silber und Schatten wirkte Malentir ebenso fremdartig wie seine Umgebung. Ein Spatz hockte auf seiner Schulter. Die Brustfedern des Vogels waren dunkel von Blut. Er sah Bitharn mit schräg gelegtem Kopf an, und seine runden schwarzen Augen schimmerten in einem bleichen Licht. Es war kein Mondlicht. Es war Magie.
»Ihr wart ziemlich lange fort«, bemerkte er, während der Vogel sie mit toten Augen anstarrte. »War das Maultier so schwer zu besiegen?«
»Es war kein Maultier.«
»Oh?«
»Es war ein Junge. Zumindest etwas, das früher einmal ein Junge gewesen war.« Bitharn erzählte ihm, was sie gesehen hatte. Sie ersparte ihm keine Einzelheit. Sie hatte nichts zu verbergen, und sie hatte den Verdacht, dass er ohnehin die ganze grimmige Jagd durch die Augen des Vogels verfolgt hatte. Die Dornen benutzten tote Dinge als Spione, und wenn er seinen so ungeniert zeigte, dann sollte sie es offenbar wissen.
Als sie von dem Tod des Jungen berichtete, wurde ihr erneut übel. Hinterher rieb sich Bitharn mit einem Ärmel über den Mund. »Hättet Ihr ihn retten können?«
Malentir schüttelte den Kopf. »Ich hätte es nicht versucht. Eine andere Macht hatte seine Seele bereits für sich beansprucht, und das hätte es … gefährlich gemacht. Damit eine zweite Gottheit über diese Vereinnahmung hätte siegen können, hätte jemand sehr stark und sehr geschickt sein müssen. Meine Herrin hätte es tun können. Ich nicht. Nicht für einen nutzlosen Dörfler.«
Sie unterdrückte ihren Ärger. »Dann wisst Ihr, welche Krankheit er hatte?«
»Nein. Aber ich habe eine Vermutung.«
»Und welche?«
»Das soll nicht Eure Sorge sein.« Er musste ihr etwas von ihrer Enttäuschung angemerkt haben, denn der Dornenlord machte eine kleine, beschwichtigende Geste. »Noch nicht. Nicht bis ich mit meiner Herrin gesprochen habe und weiß, wie meine Befehle lauten und was zu sagen mir gestattet ist. Es mag sein, dass ich es Euch dann erzählen werde … aber nicht vorher.«
»Wie loyal!«
Malentir bedachte sie mit einem spöttischen Lächeln, aber das Lächeln reichte nicht bis zu seinen Augen. »Natürlich. Mangelnde Loyalität überlebt den Turm der Dornen nicht. Unsere Herrin liest unsere Herzen und unseren Geist; jene, die sie nicht lieben, verlassen niemals den Turm.«
Das klang wie ein Albtraum. »Wie viele scheitern?«
Er zuckte die Achseln und wandte den Blick ab. »Es ist leicht, sie zu lieben, wenn sie einen erwählt.« Der Vogel auf seiner Schulter flatterte mit den Flügeln und flog davon. »Habt Ihr die Absicht, die Nacht auf diesem Felsen zu verbringen? Ich hatte auf ein behaglicheres Lager gehofft. Oder zumindest auf ein weniger schwefelhaltiges.«
»Na schön.« Bitharn führte ihn den rauchigen Hang hinunter, wobei sie ihre Schritte ebenso vorsichtig setzte wie beim ersten Mal. Es war kaum notwendig, leise zu sein; sie war sich ziemlich sicher, dass der Vogel des Dornenlords als Späher vorausgeschickt worden war und ihn warnen würde, falls jemand in der Nähe lauerte. Aber im Mondlicht waren die Felsen doppelt so trügerisch wie am Tag.
Es war fast Mitternacht, als sie den Wald erreichten. Bitharn konnte vor Erschöpfung kaum noch richtig sehen, und sie stolperte bei jedem Schritt. Seit sie nach Kellands Gefangennahme auf der Suche nach Hilfe losgeritten war, hatte sie sich nicht mehr so angetrieben. Ihr Rücken schmerzte, ihre Füße
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