Schwarzfeuer: Roman (German Edition)
waren von den Steinen voller Prellungen, und ihre Hände fühlten sich an wie nutzlose Eisblöcke. Es überstieg ihre Kräfte, ein Lager aufzuschlagen, und Malentir war als Waldbewohner ein hoffnungsloser Fall, also hüllte Bitharn sich in eine dicke Rolle Decken und vergrub sich in einem Haufen trockener Blätter.
Trotz ihrer Erschöpfung lag sie eine Weile wach und dachte an den Jungen, und als sie endlich einschlief, dachte sie wieder an ihn. In ihrem Traum hatte er Kellands Gesicht, und der Jäger mit den Löchern in der Zunge hatte ein Auge, das blau und hell leuchtete wie ein Winterstern. Hilflos sah sie zu, wie die Bergarbeiter ihre Messer in das Fleisch des verkrüppelten Kriegers bohrten. Anstelle von Blut quollen Rauch und Licht aus seinen Wunden. Der Rauch wickelte sich in dichten, schwarzen Seilen um das Licht und wollte es ersticken, und je mehr sie ihn schnitten, desto dunkler wurde es. Kelland schrie, und sie schrie mit ihm voller Verzweiflung. Dann waren die Messer plötzlich auch in ihrem Fleisch, stachen zu und zerrissen es.
Es tat weh. Es tat so furchtbar weh, schlimmer, als jeder Traumschmerz es tun sollte.
Mit einem Aufkeuchen erwachte Bitharn. Der tote Spatz hockte auf ihrer Schulter. Er legte den Kopf erst auf die eine, dann auf die andere Seite, betrachtete sie mit leeren Augen und hüpfte zu einem nahen Zweig hinüber. Das Blut auf seiner Brust war getrocknet, das Gefieder ganz stachelig geworden, aber auf seinem Schnabel war frische Feuchtigkeit. Sie spürte das Brennen kleiner Schnabelhiebe auf Hals und Schulter. Benommen verstand sie.
»Ich habe gerufen«, murmelte sie. »Zu viel Lärm. Tut mir leid. Ich werde vorsichtig sein.«
Der Vogel gab keine Antwort. Sie versank wieder in Schlaf, seltsam getröstet von dem toten Blick des Tieres. Diesmal hatte sie keine Albträume.
Am Morgen knisterten die Blätter auf ihrer Decke, von durchscheinendem Eis überhaucht. Der Himmel war grau und bewölkt und spiegelte Bitharns Stimmung wieder. Sie sehnte sich nach einer Tasse heißen Tees, um die Kühle zu bannen. Eine Schale dampfenden Haferbreis und ein Feuer hätten es … nicht angenehm, aber erträglich gemacht. Sie hatte auf ihren Reisen mit Kelland viele solcher Tage erlebt und jeden einzelnen davon geliebt.
Heute würde es kein Feuer geben. Sie waren Cardental zu nah, und sie wollte das Risiko nicht eingehen, dass jemand den Dornenlord fand. Die Bergarbeiter machten ihr noch immer Sorgen. Wer sie auch waren, sie konnten keinen weiten Weg zurückgelegt haben; sie hatten weder Proviant noch Reiseausrüstung bei sich gehabt. Höchstwahrscheinlich stammten sie aus Cardental. In diesem Fall gab es in dieser Stadt Ungeheuer. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte, und Malentir war keine Hilfe.
Das Frühstück bestand aus einer Handvoll harter Kekse und getrockneter Früchte, die sie mit Wasser herunterspülte, das nach dem Lederschlauch schmeckte, in dem sie es transportierten. Sobald sie gegessen hatten, setzte Bitharn den Abstieg fort und ignorierte den Protest ihrer schmerzenden Muskeln. Sie war zu lange geritten; sie hatte vergessen, wie es war, zu Fuß zu gehen.
Am Vormittag fiel ein feiner Regen. Der Nieselregen wusch die Farbe aus der Welt und hüllte sie in eine samtene, graue Düsternis. Bitharn verlor in dem verschwommenen Wald jedes Zeitgefühl. Sie war verblüfft, als der Himmel dunkel zu werden begann, und noch verblüffter, als der Wald vor ihnen lichter wurde. Zwischen den Bäumen hindurch konnte sie auf Cardental hinabschauen.
Es war eine kleine Stadt, die einst eine große gewesen war. Die Ruinen ihrer Pracht waren noch immer beeindruckend. Glatte, steinerne Kaimauern reckten sich in den Fluss, zierlich wie die Finger einer Dame, obwohl sie jetzt eine Faust voll Schlamm umklammerten. Eine hohe Mauer wölbte sich um das südliche Ende des Tals und beschirmte die Stadt gegen Eindringlinge. Schwarze Speere, aus dieser Entfernung winzig wie Fliegendreck, marschierten an der Brustwehr entlang.
Im Osten und im Westen hielten die Eisenzahnberge über Cardental Wache. Eine lange Straße kroch von der Stadt zu den Ruinen von Duradh Mal hinauf. Die Straße war rissig und brüchig, zerschmettert wie die Festung, auf die sie zuführte, aber die Narbe, die sie ins Gebirge zeichnete, war geblieben. Die Abenddämmerung verbarg Duradh Mal vor ihren Augen, aber Bitharn stellte sich vor, dass sie seine Gegenwart spüren konnte, bösartig hinter dem Schleier aus Schatten.
Nördlich
Weitere Kostenlose Bücher