Schwarzkittel
kommen wirklich sehr unpassend, Herr Palzki.«
»Darauf kann ich leider nicht immer Rücksicht nehmen. Es ist sehr wichtig, wenigstens mit der Frau von Doktor Overath zu sprechen, wenn er selbst schon nicht erreichbar ist.«
»Hm, vielleicht kann ich versuchen, Hubertus per Handy zu erreichen. Ach, egal, seis drum, kommen Sie rein, Herr Kommissar. Sonst denken Sie womöglich, wir machen hier etwas Gesetzwidriges.«
Er drehte sich um und ging voraus. Ich traute meinen Augen nicht. Überall hing und stand irgendwelcher Firlefanz herum. Es roch extrem nach Weihrauch. Mistelzweige, Kreuze in allen erdenklichen Formaten, getrocknete Blätter, bunte Schalen, ich konnte das alles gar nicht richtig erfassen. Man hätte meinen können, in eine Märchenwelt eingetaucht zu sein. Metzger drehte sich kurz zu mir um, bemerkte mein Erstaunen und zuckte nur mit den Schultern, bevor er die Tür am Ende des Flures öffnete.
Vier Frauen saßen stumm um einen runden Tisch. Eine davon kannte ich bereits: Es war Elli Dipper.
»Tut mir leid, Meike, das ist Kommissar Palzki. Da Hubertus nicht da ist, will er dringend mit dir sprechen.«
Die Angesprochene, im Vergleich zu ihrem Bruder vielleicht nur ein Drittel so schwer und beträchtlich kleiner, stand auf. Ihre dünn rasierten Augenbrauen hatte sie derart gestutzt, dass es zum einen unnatürlich aussah, zum anderen entfernt an ein breit gezogenes ›V‹ erinnerte. Ihr aufgesetztes Lächeln ließ die künstlichen Zahnkronen der Schneidezähne erkennen, deren Farbton sich deutlich vom Rest des Gebisses abhob. Frau Overath war ein Kunstwerk. Nichts an ihr schien echt zu sein. Selbst ihr federnder Gang sah befremdlich aus und hätte eher zu einer Ballettaufführung gepasst.
»Einen echten Kommissar bringst du mir mit, Matthias!«, flötete sie mit ihrer kraftlosen Stimme in Richtung Bruder. Mir gab sie die Hand, ich nahm das zerbrechliche Stück in die meinige und vermied jegliche Kraftaufwendung.
»Guten Tag, Frau Overath. Ihr Bruder hat mich ja bereits vorgestellt. Ich hätte ein paar Fragen an Ihren Mann. Doch vielleicht können Sie mir stattdessen weiterhelfen?«
»Fragen, natürlich Fragen! Da sind Sie hier richtig, mein lieber Kommissar. Ich beschäftige mich mein ganzes Leben mit Fragen. Fragen nach dem ›Warum?‹, nach dem ›Wieso?‹ und nach dem Sinn des Lebens. Unser geistiger Horizont erweitert sich immer mehr.« Sie machte eine recht dämlich aussehende Verbeugung in Richtung ihrer weiblichen Gäste. »Gerade sind wir bei unserem wöchentlichen esoterischen Zirkel. Sehen Sie die Karten auf dem Tisch, mein lieber Kommissar?«
Oh mein Gott, wo war ich da nur hingeraten?, dachte ich mir. Das war tatsächlich noch schlimmer als ein 10.000-Worte-Monolog meiner Nachbarin.
Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr Meike Overath fort. »Das sind aber keine normalen Tarotkarten, wie Sie bestimmt erkannt haben, Herr Kommissar. Ich habe durch meine hohe Erkenntnisstufe und meine jahrelange Erfahrung festgestellt, dass die 78 Karten des normalen Tarotkartenspiels nicht genügend Aussagekraft für einen Blick in die Zukunft haben. Deshalb habe ich eine Ergänzung konstruiert, das 104blättrige-Overath-Tarot. Sie können es gerne käuflich erwerben, es kostet weniger als Sie denken. Setzen Sie sich doch, lieber Kommissar, und spielen Sie eine Szene mit.«
Ich sah zu den anderen Frauen hinüber. Elli Dipper saß wie in Trance und hatte bisher keinen Ton von sich gegeben. Ich fragte mich, ob sie mich überhaupt erkannt hatte. Die anderen beiden Damen wirkten dagegen mit beiden Beinen im Leben stehend. Keine Ahnung, was sie dazu veranlasste, bei solch einem faulen Zauber mitzumachen.
»Tut mir leid, Frau Overath, leider habe ich heute wenig Zeit, vielleicht ein anderes Mal.«
»Schade, schade, Sie verpassen wirklich etwas. Ich verspreche Ihnen: Eine Sitzung bei mir, und Ihr Leben wird sich verändern.«
»Das hört sich sehr verlockend an, doch es geht jetzt wirklich nicht. Kann ich Sie unter vier Augen sprechen?«
Sie schaute zu ihren Gästen und überlegte. »Ich glaube, ich kann meinen Zirkel für kurze Zeit alleine lassen. Ihr könnt in der Zeit versuchen, euch auf die Erfahrungsebene des Emotionschakras zu konzentrieren. Ich bin gleich zurück.«
Sie tänzelte zur Tür hinaus und ihr Bruder und ich folgten ihr. Wir kamen in einen größeren Raum, der teils als Büro, teils als Lager zu dienen schien. Zwei Schreibtische mit vollausgestatteter PC-Ausrüstung und mehrere Drucker
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