Schwarzkittel
klebrig süßen Flüssigkeit in den Ausgabeschacht purzelte. Also doch mein Glückstag, dachte ich und ging schnurstracks in mein Büro. Der Poststapel war weiter gewachsen. Ganz selbstbewusst nahm ich mir vor, bis zu meiner Pensionierung einen Teil davon abgetragen zu haben. Ich wollte gerade den ersten Schluck Cola nehmen, da stürmte Gerhard in den Raum. Er sah extrem schlecht aus.
»Entschuldige, Reiner, dass ich hier so reinplatze, ein Kollege hat mir gesagt, dass du hier bist.« Er setzte sich.
Ich schaute ihn scharf an. »Kann es sein, dass du dringend Urlaub brauchst und deine Verfassung nichts mit der Arbeit zu tun hat? Dein Wagen ist okay, falls du das meinst.« Ich lief nicht mal rot an.
»Ach, der Wagen, das ist schon in Ordnung«, seufzte er.
»Maria?«, fragte ich zaghaft.
Er nickte fast unmerklich.
»Ihr habt Streit?«
Er nickte wieder.
»Immer noch wegen ihres Kinderwunsches?«
Ich sah Gerhard das erste Mal in meinem Leben mit glasigen Augen.
»Oh Mann, nichts wirft dich im Leben um und dann kommt so eine Frau daher und macht dich fertig.«
»Maria ist nicht irgendeine Frau«, verteidigte er seine Lebensabschnittspartnerin. »Für Maria würde ich alles tun. Na ja, fast alles.«
Ich versuchte, ihn etwas aufzuheitern. »Mensch, Gerhard, das Wort ›Lebensgefährte‹ kommt eben von dem Wortstamm ›Lebensgefahr‹, das sagt doch schon alles.«
»Hör auf mit den blöden Witzen, mir ist wirklich nicht zum Lachen zumute.«
Es schien tatsächlich ernst zu sein. »Hat sie dir das Messer auf die Brust gesetzt?«
Erneut nickte er. »Nicht nur auf die Brust gesetzt, sondern mitten ins Herz gestoßen. Sie ist bei mir ausgezogen. Sie will mir Zeit geben, um über unsere gemeinsame Zukunft nachzudenken.«
Wieso kam mir das so bekannt vor? Warum mussten Frauen immer gleich ausziehen, wenn ihnen etwas nicht passte? Auf der anderen Seite sind Kinder wirklich etwas Wundervolles. Na ja, meistens. Manchmal konnte man sie verfluchen. So wie damals auf dem Mai markt. Und schon schwelgte ich in Erinnerung: Es war an einem Sonntagmittag gewesen, als ich mit Stefanie und unseren beiden Kindern den ›Maimarkt‹, die vermutlich größte Verbrauchermesse in Südwestdeutschland, besuchte. Ich war eigentlich kein großer Freund solcher Messen, musste man beim Eintritt doch einen nicht unerheblichen Obolus entrichten, um anschließend von zahlreichen Produkt- und Dienstleistungsanbietern als Kunde umgarnt zu werden. Ich war eher der praktische Mensch. Wenn ich etwas benötigte, ging ich in das entsprechende Geschäft, um es zu kaufen. Da brauchte ich keine geballte Verbrauchermesse, die es im Prinzip nur darauf anlegte, latente Bedürfnisse zu wecken und potenzielle Kunden mit einem Messe-preis zu locken. Häufig wurde mithilfe von alten und vergilbten Schildern darauf hingewiesen, dass der reduzierte Preis nur am heutigen Tag gültig war. Ein Preisvergleich mit externen Produktanbietern war dadurch natürlich enorm erschwert.
Daneben hatte es auf dem ›Maimarkt‹ mehrere Verpflegungszelte gegeben, die alle Arten von Speisen und Getränken anboten. Oft genug waren hier kleine Kostproben bereitgestellt, so auch an einem größeren Weinstand. Korrekterweise muss man erwähnen, dass meine einzigen Unterscheidungskriterien bezüglich des Rebensafts, von der Farbe mal abgesehen, ›Sauer‹ und ›Süß‹ sind. Stefanie ist hier nur um Nuancen weinerfahrener. Es kam, wie es kommen musste. Ein lächelnder Verkäufer im sauteuren Anzug hatte uns aus der vorbeiströmenden Menge herausgezogen.
›Bitte nehmen Sie doch Platz, gnädige Frau und gnä diger Herr. Darf ich Ihnen kostenlos und unverbindlich unsere Weine vorstellen?‹
Das hätte er besser sein lassen. Er hatte Stefanie und mir jeweils einen Schluck einer bestimmten Weinsorte eingeschenkt. Paul und Melanie hatten Traubensaft bekommen. Paul verschüttete sein Glas sofort auf den Tisch und den darunter befindlichen exklusiven Florteppich. Die Miene des Verkäufers bewegte sich nur für den Bruchteil einer Sekunde.
›Macht doch nichts‹, hatte er süßsauer gelächelt. ›Das kann immer mal passieren.‹
Unsere Kinder hatten ihre Gläser auf ex heruntergestürzt und verlangten sofort Nachschub. Nachdem sie ihre Gläser zum zweiten Mal geleert hatten, probierten Stefanie und ich unseren Wein. In mir war sofort Magensäure aufgestiegen, was ich mir aber nicht anmerken ließ. Stefanie hatte genickt, der Verkäufer sich gefreut. Er hatte zwei unbenutzte
Weitere Kostenlose Bücher