Schwarzlicht (German Edition)
Vincent.
75
Während sich ein Arzt um die Schnittwunde des Mädchens kümmerte, kaufte Vincent die verschiedenen Tageszeitungen, die der Krankenhauskiosk anbot. Bereits der Blick auf die Titelseiten bereitete ihm ein ungutes Gefühl.
Er wühlte sich fieberhaft durch alle Blätter und Rubriken. Zuerst glaubte er, etwas übersehen zu haben. Noch einmal von vorn, vielleicht hatte er sich auch nur beim Umblättern vertan. Er überflog sogar das Vermischte und die Kultur. Schließlich gab es für Vincent keinen Zweifel mehr: Simoniaks Partei hatte nichts aus seiner Information gemacht.
Kein Aufmacher über schwarze Kassen der CDU. Kein Hintergrundbericht zu Castorps Reise, dem wahren Inhalt der Koffer und der Panik im Kanzleramt. Kein Kommentar, der einen Regierungswechsel für unabdingbar hielt. Nicht einmal die Andeutung eines Gerüchts.
Vincent war fassungslos.
Er hatte der Oppositionschefin allerbeste Munition geliefert. Warum schonte sie ihre Gegner, Innenminister Driesbach und die Kanzlerin? Vincent fiel kein vernünftiger Grund dafür ein.
Er hatte mal wieder danebengegriffen. Sein Leben erschien ihm mehr und mehr wie ein einziger Irrtum. Nina hatte recht. Er sollte zu seiner Mutter fahren, Frieden mit ihr schließen, Brigitte Veih endlich in den Arm nehmen. Außerdem sollte er dem Polizeipräsidenten offenbaren, was er von ihm hielt, und ihm die Marke samt Dienstausweis vor die Füße werfen. Und danach Osterkamp anrufen.
Vincent starrte auf sein Smartphone. Die Nummer des Baulöwen hatte er bereits gespeichert. Er rief sie auf und betrachtete das grüne Hörersymbol.
In diesem Moment begann das Gerät, den Clash -Song zu spielen. Dominiks Name erschien auf dem Display. Vincent tippte auf Annehmen .
«Was steht auf dem Programm?», fragte Dominik. «Ich hab das Gefühl, wir sind gestern ganz gut vorangekommen, oder?»
«Frag Thilo Becker.»
«Was hast du mit deiner Stimme gemacht?»
«Pass auf, geh zu Thilo und frag ihn, welche Aufgabe er für dich hat.»
«Du verarschst mich jetzt, oder?»
«Das ist eine dienstliche Anordnung.»
«Wie du meinst, Chef.»
Aufgelegt.
«Vincent?»
Er blickte auf. Felicitas stand vor ihm. Blass, strähniges Haar, gerötete Augen. Eine elastische Binde war um ihren Unterarm gewickelt. Wo der Verband aufhörte, hatte das Desinfektionsmittel die Haut bräunlich verschmiert. Der Müllgeruch haftete noch immer an der Kleidung des Mädchens, aber in Felicitas’ Gesicht erkannte er Blümchen wieder, den Engel der Punkerclique. Es strahlte einen starken Willen aus.
«Sorry, aber ich weiß Ihren Nachnamen nicht.»
«Macht nichts, Feli. Vincent ist okay. Wir können uns duzen, denke ich.»
«Sie haben dein Hemd weggeschmissen.»
«Das kann ich verkraften.»
Er ging mit ihr zur Kinderambulanz und sprach die erste Mitarbeiterin an, die er traf. Sie sagte zu, sich bis zum Nachmittag um Felicitas zu kümmern.
Vincent verließ die Station, ohne Nina zu Gesicht bekommen zu haben. Er war froh darüber.
Vor dem Eingang des Krankenhauses standen die Raucher. Patienten in Bademänteln und Trainingsanzügen. Eine Frau hielt sich an ihrem Infusionsständer fest und inhalierte gierig, als sei es die letzte Zigarette ihres Lebens. Am liebsten hätte Vincent einen Glimmstängel geschnorrt.
Er hatte den Eindruck, alle starrten ihn an. Dann wurde ihm klar, dass es am Hawaiihemd lag – grüne Palmen auf orangefarbenem Grund.
Etwas abseits rauchte Schranz.
«Was machst du hier?», fragte Vincent.
Ein Nicken in Richtung Klinikgebäude. «Das Opfer aus der Düsselstraße.»
«Bettina lebt noch? Wie geht es ihr?»
Schranz nahm einen tiefen Zug, legte den Kopf in den Nacken und ließ den Rauch aus Mund und Nase strömen.
«Red schon!»
«Was soll ich sagen? Messers Schneide. Es wäre ein Wunder.»
Und wieder bin ich schuld daran, dachte Vincent. Er hatte Blümchen schon einmal dem Sadisten Borsig ausgeliefert. Und gestern war ihm der Kerl offenbar bis in die Düsselstraße gefolgt, ohne dass er es bemerkt hatte.
Ich habe Blümchens Bedrohung nicht ernst genug genommen.
«Dein Hals ist ganz rot», sagte Schranz.
«Peanuts.»
Schranz schnippte die Kippe in Richtung eines Blumenbeets. Er verfehlte, der Stummel qualmte auf dem Asphalt weiter. Erhobener Zeigefinger. «Pass auf mein Hemd auf.»
«Klar, exquisiter Geschmack.»
«Hundert Prozent Seide.»
«Ich werde mir mal den Tatort ansehen», sagte Vincent. «Wenn es dir und dem geschätzten Kollegen Becker recht
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