Schwarzlicht (German Edition)
Programm fahren, Vinnie!»
«Bleibt bitte erst einmal hier, du und Jürgen. Ich brauch euch vielleicht noch.»
Die Tür hinter Marietta war nur angelehnt, im Flur brannte Licht. Vincent fragte sich, wer den Schalter gedrückt hatte. Drinnen nahm er leichten Chlorgeruch wahr. Linker Hand eine Garderobe, daneben die geschlossene Aufzugtür. Wer den Schlüssel besaß, gelangte direkt in das Penthouse.
«Felix?», rief Vincent.
«Hier!»
Er folgte der Stimme und stieß auf den Kollegen, der ihm entgegenkam. May hatte beim Spezialeinsatzkommando gearbeitet, dann im Einsatztrupp der Altstadtwache. Wider Erwarten hatte er sich im KK11 als passabler Kriminalist erwiesen. Nur war er mit Ela nie zurechtgekommen, ein Macho, wie er im Buche stand. Sein schwarzer Blouson aus billigem Kunstfaserzeug, glänzend und knittrig, klaffte über dem Bauch. Vincent ärgerte sich, dass May keine Schutzkleidung trug.
Der Kollege formte Daumen und Zeigefinger zum Kreis. «Die Bude ist der absolute Wahnsinn.»
«Im Treppenhaus steht meine Tasche», erwiderte Vincent. «Dort findest du Überzieher und alles, was man sonst noch an einem Tatort braucht.»
«Okay, Chef.»
«Hast du wirklich die Brieftasche des Ministerpräsidenten mit bloßen Händen angefasst?»
Felix verzog sich.
Der nächste Raum war eine Schwimmhalle. Wegen des Geruchs hatte Vincent damit gerechnet, trotzdem staunte er, in diesem Gebäude auf einen so großen Pool zu stoßen.
Vor dem Einstieg in das Becken lag der tote Ministerpräsident. Wasserflecken auf den anthrazitfarbenen Fliesen, verschmierte Abdrücke von Straßenschuhen. Der Tote war Walter Castorp, kein Zweifel, trotz der leichten Verfärbung im Gesicht. Den Leichnam umhüllte ein schwarzer Bademantel, den die Medizinerin gerade aufschnitt, vom Körper zog und als nasses Bündel auf die Fliesen klatschen ließ.
Sie nickte Vincent einen Gruß zu, dann machte sie ihre Fotos und begann, den massigen Leib des Politikers zu inspizieren. Neunzig Kilo bei einer Größe von gut eins achtzig, schätzte Vincent. Mitte vierzig, nur wenig älter als er.
Vincent kannte den Mann zur Genüge, Castorps Konterfei lächelte von allen Wahlplakaten, mit denen seine Partei das Land seit Wochen zukleisterte. Zudem hatte ihn die Affäre um Einbruch und Bespitzelung in den Mittelpunkt der Medienberichterstattung gerückt. Ein hohes Tier, wohl wahr. Bis vor kurzem hatte er als einer der mächtigsten Politiker der Republik gegolten, gleich nach der Kanzlerin.
Quer über den Bauch des Toten verlief ein heller Streifen, wo der Gürtel des Bademantels stramm gesessen und die Ausbildung von Leichenflecken verhindert hatte. Vincent beobachtete, wie die Ärztin die Verfärbung an einigen Stellen wegdrückte und an den Händen die Totenstarre prüfte. Sie trug Schutzkleidung und arbeitete rasch. Nur mit dem Hinterkopf beschäftigte sie sich eingehender, tastete prüfend durch das dunkle Haar. Weitere Fotos, jetzt ging sie ganz nah ran, mit der einen Hand die feuchten Strähnen zur Seite streichend.
Dann gab sie Vincent ein Zeichen, und er half ihr, den Toten umzudrehen. Sie entnahm ihrer Tasche ein Thermometer und schob es Castorp in den Hintern.
Vincent blickte sich um. Der Pool war das Zentrum eines Wellnessbereichs, der auch jedem Luxushotel zur Ehre gereicht hätte. Es gab eine finnische Sauna, sie war nicht in Betrieb, kein Licht, die Tür stand offen. Daneben ein Duschbereich und eine weitere Glastür, hinter der sich ein Fitnessraum befand. Durch bodentiefe Fenster ging der Blick über den äußeren Hafen und die Rheinschleife zur Neusser Seite, in die Sonne, die gerade versank.
Edles Interieur – Felix’ Begeisterung war begründet gewesen. Glasmosaik an den Wänden, Unterwasserstrahler im Becken, alles schimmerte in Blau und Türkis. Die Poolabdeckung war aufgerollt. Ein Luftzug kräuselte das Wasser, denn mehrere Fenster waren gekippt.
Felix, der endlich korrekt in Tyvek gehüllt war, trat neben Vincent. «Die Aussicht vom Wohnzimmer ist erst recht der Hammer!»
An der Fensterfront standen zwei Liegen, über einer Lehne hing ein Handtuch. Auf einem Tisch aus dunklem Holz lag eine aufgeschlagene Modezeitschrift. Daneben zwei Gläser, eines davon trug Spuren von Lippenstift. Eine leere Weinflasche mit elegantem Etikett. Ein Chardonnay aus Meursault – teures Zeug, das sich Vincent nicht einmal zu Weihnachten leisten würde.
Die Ärztin wandte sich ihm zu, offenbar war sie auch mit der Rückseite des Toten fertig.
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