Schwarzlicht (German Edition)
besucht hatte, war es nicht gut ausgegangen.
Links die Felder, rechts das Industriegebiet. Vincent bog in die Rheinfährstraße ein. Die Vorgärten und braunroten Ziegelfassaden weckten Erinnerungen an seine Jugend. So fern und kaum zu fassen, trotzdem ein Teil von ihm.
All die Regeln, die sein Opa aufgestellt hatte, die übertriebene Strenge, mit der er ihre Einhaltung überwachte – in den Augen des Alten hatten sie nur dazu gedient, das Böse fernzuhalten, das er Tag für Tag in der Großstadt auf der anderen Seite des Flusses bekämpfte.
Es hat bei seiner Tochter nicht gewirkt und bei mir auch nicht, dachte Vincent und erinnerte sich, dass es im Haus seiner Großeltern zwei Tabuthemen gegeben hatte: die Kriegszeit sowie Brigitte Veih, die missratene Tochter und Terroristin.
Das Gebäude stand einzeln und wirkte klein im Vergleich zu denen der Nachbarschaft, die im Lauf der Zeit mit allerlei Dachgauben und Anbauten aufgebrezelt worden waren. Es fügte sich in die Reihe und wirkte zugleich isoliert. Kein Kinderspielzeug auf dem Rasen, kein Gartenzwerg mit Greenpeace-Fahne. Dafür hingen die schmiedeeisernen Gitter noch wie früher vor den Fenstern im Erdgeschoss. Als müssten die Bewohner einer Belagerung standhalten.
Vincent blieb eine Weile im Auto sitzen. Ihm fielen die Kaninchenställe hinter dem Haus ein, die er nach dem Tod des Großvaters eigenhändig abgerissen hatte. Wie hatte er sich geekelt, wenn es Karnickelbraten gab.
Endlich raffte er sich auf und ging hinüber.
Der Klingelknopf klemmte. Das Schrillen hörte erst auf, als Vincent noch einmal drückte.
21
«Ich hab gewusst, dass du mich besuchen wirst», sagte seine Mutter zur Begrüßung.
«Hellseherische Fähigkeiten?», erwiderte Vincent. «Schade, dass du die nicht schon in den siebziger Jahren hattest. Du hättest dir eine Menge Ärger ersparen können.»
Er schaffte es wieder nicht, sie zu berühren. Wann hatte er sie zuletzt umarmt? Mit sieben, als sie ihn zu diesen schrecklichen Freunden nach Bayern brachte, wo er fortan leben sollte. Er hatte sie fest umschlungen und wollte nicht mehr loslassen. Sie hatten ihn mit Gewalt von seiner Mutter trennen müssen.
Vincent folgte ihr in die geräumige Küche. Eine Schüssel Erdbeeren stand auf dem Tisch. Sie stellte einen Teller dazu, schaufelte die Hälfte der Früchte darauf, gab Zucker auf beide Portionen und setzte sich ebenfalls.
«Ich habe von dem Demonstranten gehört, den ihr so zugerichtet habt», erklärte sie. «Immer wenn du etwas verbrochen hast, kommst du zu mir.»
«Mit der Demonstration hatte ich nichts zu tun.»
«Ach was, du bist Teil des Apparats.»
Vincent verkniff sich die Antwort, die ihm auf der Zunge lag. Ein einziges Mal war er tatsächlich zum Beichten nach Uedesheim gefahren. Der Einsatz mit Ingo Ritter, das Bild, das Vincent noch heute verfolgte: wie sich die zitternde Frau mit den rot verschmierten Lippen zum Autofenster beugte, um ihm ihr zerschundenes Gesicht zu zeigen. Acht Jahre musste das her sein, denn kurz darauf hatte er die Kriminalwache verlassen.
Aber zu einer Beichte gehörte jemand, der zuhörte. Seine Mutter tat das nie. Vor allem wenn es um seine Arbeit ging, stellte sie sich taub.
«Du siehst aus wie geleckt, mein Junge. Frisch rasiert, akkurate Frisur. Fehlt nur noch der Scheitel, und du siehst aus wie er .»
Vincent wusste, worauf sie hinauswollte, und beschloss, sich nicht provozieren zu lassen. Ihre Haare waren kurz und struppig, zur Jeans trug sie ein verblichenes T-Shirt. Auf Äußerlichkeiten gab sie nicht viel – vielleicht war ihr das in zwanzig Jahren Knast ausgetrieben worden. Im Vergleich zu früher war ihr Gesicht breiter und weicher geworden. Die scharf geschnittene Nase dominierte nicht mehr so sehr.
Als Kind hatte er ihr Bild aus einer Illustrierten geschnitten und heimlich in der Ritze hinter der Matratze aufbewahrt. Irgendwann war das zerknitterte Stück Papier verschwunden, ohne dass es ein Donnerwetter gegeben hätte. Woraus Vincent schloss, dass die Oma es entdeckt hatte, ohne ihrem Mann davon zu erzählen.
«Oder kommst du wegen Ninotschka?», fragte seine Mutter. «Dann kannst du gleich wieder gehen. Ich bin nicht gut im Schlichten.»
Offenbar hatten die beiden telefoniert. Seine Freundin kam erstaunlich gut mit Brigitte aus. «Was hat sie gesagt?»
«Dass ihr deine Eifersucht auf den Wecker geht.»
«Sie trifft sich wieder mit Jens. Diesem Anwalt, du weißt schon.»
«Na und?»
«Muss ich dir das wirklich
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