Schwarzlicht (German Edition)
Kaffeetasse ab, nahm Platz und begann, in dem Boulevardblatt zu lesen.
Die Auflösung war zu schlecht, um einzelne Wörter entziffern zu können, aber Vincent glaubte, den Blitz zu erkennen: das Archivfoto, auf dem der Ministerpräsident das Victory-Zeichen machte, sowie die heutige Schlagzeile: Affäre Castorp: Rücktritt von allen Ämtern?
Die Frau schnäuzte sich in ihr Taschentuch. Dabei blickte sie von der Zeitung auf.
«Das ist doch …», entfuhr es dem Kollegen vom Einbruch.
«Seine Gattin», bestätigte Anna.
Bruno fummelte auf dem Touchpad, tippte ein paar Mal. Am Bildrand erschien eine Lautstärkenanzeige. «Wir kriegen sogar den Ton.»
«Ist das etwa live?», fragte Vincent.
«Psst», machten die anderen.
Ein leises Rascheln, als die Frau umblätterte. Ein Telefonklingeln, klar und deutlich. Die Frau setzte ihre Lesebrille ab, verschwand aus dem Bild und kehrte mit einem schnurlosen Hörer zurück, sich den Nacken reibend.
«Simone Castorp», meldete sie sich.
«Tatsächlich», sagte Bruno.
«Ist es das, wonach es aussieht?», fragte Anna.
«Es ist live», bestätigte der KK14-Kollege. «Der Typ hat sogar sein eigenes Haus verwanzt. Wie krank ist der denn gewesen?»
Die Witwe des Ministerpräsidenten unterhielt sich mit dem Anrufer. Nach einer Weile begann sie zu weinen, ihre Schultern zuckten.
«Das genügt», sagte Vincent. «Mach das weg, Bruno. Wir haben dafür keine rechtliche Handhabe.»
Bruno klappte den Laptop zu. Sobald ich draußen bin, guckt er weiter, dachte Vincent.
«Wozu überwacht einer sein Wohnzimmer?»
«Weil er’s kann. Da waren eben noch ein paar Kameras von der Aktion gegen die Opposition übrig.»
«Kennt ihr den?», meldete sich Anna zu Wort. «Der Teufel klopft an Castorps Tür und schlägt ihm ein Geschäft vor. Ich mache Sie zum Ministerpräsidenten, sagt der Teufel. Castorp fragt nach dem Preis. Sagt der Teufel: Ich kriege Ihre Seele, die Seele Ihrer Frau und die Seelen Ihrer Kinder. Fragt Castorp: Und wo ist der Haken?»
Alle grinsten, keiner lachte laut.
«Castorp hatte keine Kinder», sagte Vincent.
«Ursprünglich war der Witz auf Gerhard Schröder gemünzt.»
«Hat auch keine Kinder, zumindest keine leiblichen.»
«Erbsenzähler!»
«Ich bräuchte den Laptop für meine Dienststelle», mischte sich der Kollege vom KK14 ein, das für die Abhöraffäre zuständig war.
«Du kannst die Festplatte kopieren», antwortete Vincent. «Das Gerät bleibt hier. Kommst du an die E-Mails ran, Bruno?»
«Die sind passwortgeschützt. Aber mit Hilfe unserer IT-Spezialisten müsste es klappen.»
«Was war mit der Referentin?», fragte Vincent. «Hast du sie angetroffen?»
Bruno reichte ihm zwei Blätter vom Schreibtisch, bereits von Carmen Markowitz unterzeichnet. Die Referentin hatte die zwei Aktenkoffer beschrieben. Dunkelbraunes Leder, Zahlenschlösser, keine Angaben zum Inhalt. Dass die Koffer sich nicht mehr im Penthouse befunden hatten, konnte Markowitz nicht erklären. Die Reisetasche sei ihre eigene gewesen, die sie am Montag mitgenommen habe.
«Wie hat die Frau auf dich gewirkt?», fragte Vincent.
«Bin kein studierter Psychologe …»
«Sag schon.»
«Nervös, würde ich sagen. Und nicht besonders kooperativ. Erst als ich sie mit der Aussage des Wirtschaftsprüfers konfrontiert habe, konnte sie sich an die Aktenkoffer ihres Chefs erinnern.»
«Danke, gute Arbeit, Champion.»
Vincent ging hinaus, Anna folgte ihm. Auf dem Flur berührte sie kurz seinen Arm. «Ich muss dir was sagen.»
«Was denn, Anna?»
«Thann …»
«Was ist mit ihm?»
«Er hat mich quasi aufgefordert, mich für den Leitungsposten zu bewerben.»
«Mach’s. Warum solltest du nicht das Zeug dazu haben?»
«Aber das geht doch nicht!»
«Wieso?»
«Es ist deine Stelle.»
Vincent fragte sich, ob sie wirklich Skrupel hatte. «Konkurrenz belebt das Geschäft.»
«Ich weiß nicht recht.»
«Du hast nur Angst, unsere Wette zu verlieren, stimmt’s?»
24
Mit geringer Verspätung fand sich Vincent im Büro des Kripochefs ein. Benedikt Engel residierte in der ersten Etage, auf dem gleichen Flur wie der Polizeipräsident. Der Saal für die Pressekonferenz lag nur ein paar Türen weiter.
Die anderen waren bereits da: Inspektionsleiter Thann, Markus Braun, der Sprecher der Behörde, eine Praktikantin der Pressestelle und Martin Kilian, als Staatsanwalt Herr des Verfahrens. Sie alle standen am Fenster und schauten hinaus.
Der Innenhof war für die Übertragungswagen der
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