Schwarzlicht (German Edition)
nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampf als Spitzenkandidat antrat und überraschend klar gewann. In der Folge wurde er Landesvorsitzender der Partei, saß kurz darauf im Bundespräsidium und fungierte seit zwei Jahren als stellvertretender Bundesvorsitzender.
1991 hatte Castorp seine Verlobte Simone Korn geheiratet. Vincent dachte an Castorps Ruf als Frauenheld und fragte sich, was die Eheleute verbunden hatte. Bekanntlich gab es Paare, die nur zusammen waren, um den Medien ein gefälliges Image zu bieten. Aber hielt so etwas mehr als zwei Jahrzehnte?
Die Liste ging schier endlos weiter: Mitgliedschaften, Ehrenämter, Funktionen in wirtschaftsnahen Beiräten und Kuratorien. Anna hatte etliche Zeitungsberichte ausgedruckt, auf die sie im Internet gestoßen war. Vincent holte sich bei Nora noch einen Kaffee, dann setzte er die Lektüre fort.
Einerseits hatte Castorps Nähe zu Bankern und Bossen für allerlei Gerede gesorgt. Gemeinsame Urlaube, Jagdausflüge in die Karpaten, ein Privatkredit für den Erwerb seiner Villa in Bochum – der von der Opposition geschürte Verdacht, dass Castorps politische Entscheidungen nicht unabhängig gefällt worden seien, hatte immer wieder mit einigem Aufwand dementiert werden müssen. Andererseits hatte Castorp aufgrund seiner direkten, hemdsärmeligen Art als so populär gegolten, dass ihm bis vor einer guten Woche die Wiederwahl so gut wie sicher schien. Insider hatten ihn gar zum Kronprinzen der Kanzlerin stilisiert. Sicher war: Der Mann hatte polarisiert, die Öffentlichkeit wie auch die eigenen Reihen.
Zur Wanzenaffäre hatte Anna offenbar nicht mehr zusammentragen können, als Vincent bereits wusste. Ein paar Bemerkungen zu Carmen Markowitz: In den Fluren der Oppositionsfraktion witzelte man über die «Monica Lewinsky» des Ministerpräsidenten. Böse Zungen tuschelten über eine angebliche Rotlichtvergangenheit der Referentin. Vincent las die Namen einiger Frauen, die angeblich vor Markowitz das Bett mit Castorp geteilt hatten: eine Journalistin, die Pressesprecherin einer Versicherung, Mitarbeiterinnen der Partei und der Staatskanzlei. Auch wenn Vincent nicht vermutete, dass eine von ihnen hinter dem Mord steckte, würde er sich darum kümmern müssen.
Das Telefon. Vincent schob das Dossier zur Seite, rieb sich die Augen, hob ab.
Kripochef Engel. «Haben Sie eine Krawatte?»
«Ja.»
«Heute Abend um halb neun im Gekko’s . Sie wissen, wo das ist?»
«Ja.»
«Wir beide werden die Polizeibehörde repräsentieren. Habe ich Ihnen eigentlich schon gesagt, dass Sie auf der Pressekonferenz eine recht passable Figur gemacht haben?»
«Um was geht es?»
«Die Einweihung einer Stiftung. Irgendetwas mit Demokratie und Gedöns.»
«Warum ich?»
«Verdammt, Veih, jetzt zieren Sie sich nicht. Es wird Gutes getan, und wir spenden Applaus. Außerdem gibt es etwas zu essen.»
«Ich weiß nicht recht.»
«Ersparen Sie mir die dienstliche Anweisung.»
«Na gut.»
«Großartig, Veih. Der Meister der knappen Antworten. Dem Papst haben Sie heute mehr als nur Ja und Amen gesagt. Hat mir ebenfalls gut gefallen. Also bis dann!»
Vincent legte auf. Er wusste nicht recht, woran er mit dem Kripochef und dessen seltsamer Einladung war.
Wieder klingelte das Telefon.
Diesmal war es Felix May. «Hör mal, die Fingerspuren im Penthouse.»
«Und?»
«Fabris Leute haben alles abgeglichen. Bis auf eine Spur stammen alle von Castorp, seiner Referentin, der Putzfrau, Osterkamp oder dessen Ehefrau.»
«Und die eine Spur?»
«Halt dich fest, Vincent. Ein Treffer im AFIS.»
Die Abkürzung bezeichnete die Datenbank des Bundeskriminalamts, in der jeder gespeichert war, der in den letzten zwanzig Jahren in Deutschland erkennungsdienstlich behandelt worden war.
«Also ein Kunde?»
«Richtig. Ein gewisser Roland Körber, Fahrer in der Staatskanzlei. Hat in den Neunzigern wegen Urkundenfälschung gesessen.»
«Schon eine Weile her.»
«Ja, aber vor ein paar Jahren hat er noch einmal vor Gericht gestanden, weil er alte Meister gefälscht hat. Er hat behauptet, dass er die Bilder nie als Originale ausgegeben hätte, und kam damit durch. Ein gerissener Bursche. Weiß der Geier, warum die Staatskanzlei so einen windigen Typen beschäftigt.»
«Du meinst, noch windiger als Castorp?»
«Er sollte uns zumindest erklären, was er in dem Penthouse zu suchen hatte.»
«Du hast recht, Felix. Lass uns Körber auf den Zahn fühlen.»
Den Rest des Nachmittags verbrachte Vincent am Telefon, in
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