Schwarzlicht (German Edition)
Frage konnte sich Vincent nicht verkneifen. «Entschuldigen Sie meine Neugier, aber warum haben Sie Castorp überhaupt geheiratet?»
«Warum nicht? Er sah passabel aus, und damals wollte ich das sein, was die Leute ‹normal› nennen. Aber gehalten hat die Ehe nur, weil mit der Zeit Liebe daraus wurde. Was schauen Sie so ungläubig? Kennen Sie das nicht, dass Liebe wächst?»
Felix brummte etwas und ging zum Wagen vor.
Die Witwe hielt Vincent am Arm fest. «Was die Leute über Walter behauptet haben, ist erstunken und erlogen. Es gibt keine Castorp-Affäre, Herr Veih. Entweder steckt Driesbach dahinter oder die Sozis. Das müssen Sie mir glauben.»
39
Felix hielt vor einem Imbiss. Aus einem Baum fielen Tropfen auf das Wagendach.
«Hier kriegst du die besten Pommes. Weiß ich noch aus meiner Zeit an der hiesigen Polizeischule.»
Während der Kollege ausstieg, schaltete Vincent das Radio ein. Punkt dreizehn Uhr – die Nachrichten machten mit der Trauerfeier für die toten Bauarbeiter auf. Vor der Kirche hatte es Proteste gegeben. Sogar der Bundespräsident hatte sich geäußert. Es sei «töricht und geschichtsvergessen», wenn man in dieser Republik gegen die freie Marktwirtschaft demonstriere. Unterdessen hatten diverse Gruppen für morgen einen Schweigemarsch zum Polizeipräsidium angemeldet.
Noch vier Tage bis zur Wahl.
Felix stieg ein und hielt ihm eine Pappschale hin. Der Gestank von altem Frittierfett machte sich im Wagen breit. «Laut Verkäufer die reinste Muskelnahrung», bemerkte Felix.
«Glaub ich aufs Wort.»
Hastig aßen sie ihre Portionen. Mit dem letzten Stück Pommes wischte Vincent den Rest Ketchup aus seiner Schale. Felix leckte sich die Finger ab, startete den Passat und steuerte die Autobahn an.
Der nasse Asphalt blendete im Gegenlicht. Vincent blickte zur Seite. Schäbige Wohnblocks, dicht an die Leitplanken gebaut. Satellitenschüsseln, vermüllte Balkone, in den Regenrinnen wuchs Unkraut. Den Menschen unter diesen Dächern war es egal, wer sie regierte. Wie auch sie den Regierenden egal waren.
Felix brach das Schweigen. «Hör mal, hab ich das richtig verstanden? Der Ministerpräsident war mit einer Lesbe verheiratet?»
«Mehr als zwanzig Jahre lang. Und sie hält ihren Mann für unschuldig an der Abhöraffäre, trotz der Kameras im eigenen Haus.»
«Wahre Liebe.» Felix lachte. «Oder sie führt uns an der Nase herum und hat doch ihren Mann auf dem Gewissen.»
«Glaub ich nicht.»
Felix zuckte mit den Schultern. «Du bist der Psychologe.»
«Bleibt die Frage, wer die Detektivin beauftragt hat.»
Vincent rief in Berlin an. Er hatte es Florian Brennecke angekündigt.
Der Referent steckte angeblich in einer Besprechung, in der man ihn nicht stören könne. Er werde sich melden, hieß es.
Max Feist ging nicht ran.
Vincent verstaute das Handy. Ich krieg euch noch, dachte er.
40
Wieder sprang Körber auf, als Vincent die Zelle betrat. «Haben Sie einen Anwalt mitgebracht?»
«Nicht nötig. In fünf Minuten sind Sie frei.»
«Na, endlich.»
«Ich brauche nur noch eine plausible Begründung, warum wir Ihre Fingerspuren gefunden haben.»
«Ich habe Ihnen doch schon erklärt, dass ich zur Sache keine Aussage …»
«Ruhig, Herr Körber. Ich biete Ihnen zwei Varianten an. Die erste nehme ich zu den Akten. Demnach hatte der Ministerpräsident seine Medikamente im Büro vergessen und bat Sie, ihm das Zeug zu bringen.»
«Genau so war es.»
«Warum haben Sie das dann nicht gleich gesagt?»
Der Mann mit dem geröteten Gesicht schwieg.
«Variante zwei: Sie sind ein gutmütiger Mensch. Sie mochten Walter Castorp, und er hat das ausgenutzt. Er kannte Ihre Vorgeschichte und Ihre Fähigkeiten. Stimmt doch, oder?»
Körber knabberte an seinem Schnurrbart.
«Walter Castorp hat Sie gebeten, Rezepte zu fälschen, und Sie konnten nicht nein sagen.»
Der Fahrer scharrte mit den Füßen, vermied Blickkontakt.
«Wir verzichten darauf, gegen Sie zu ermitteln, und ich denke, damit sind wir quitt», sagte Vincent. «Auf Wiedersehen, Herr Körber.»
Der Mann trottete hinaus, Vincent geleitete ihn über den Hof in den Vordertrakt und zeigte ihm den Weg zum Ausgang.
Er schaffte den Karton mit Castorps Aufzeichnungen in sein Büro. Das Mobiltelefon vibrierte in der Tasche, doch als er die Sachen auf dem Tisch abstellte, war es schon wieder still.
Er ging hinüber zu Nora, um sich Kaffee einzuschenken.
«Neue Frisur?», fragte er. «Schick!»
«Schon seit Samstag. Trotzdem
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