Schwarzlicht (German Edition)
Unsere Karrieren beruhen auf Fehlern, schoss es ihm durch den Kopf. Ich muss meinen wiedergutmachen, um mir die Beförderung zum Kommissariatsleiter wirklich zu verdienen.
Er rief beim KK12 an, das man nur noch inoffiziell «Sitte» nannte, und wurde mit einer Kollegin namens Hachmeister verbunden. Als Vincent ihre raue Stimme vernahm, erinnerte er sich an ihr Aussehen: üppig, um die fünfzig, schwarz gefärbte Dauerkrause. Eine Nette.
Blümchens Name sagte der Kollegin nichts. Sie versprach, sich umzuhören.
Ein Klopfen. Bruno Wegmann schaute zur Tür herein, sein Bass rief Vincent in die Gegenwart zurück.
«Komm mal mit rüber, Vincent. Castorps E-Mails. Das wird dich interessieren.»
41
Wegmanns Büro war mit Kisten vollgestellt. Vincent stieg über allerlei Asservate aus den Durchsuchungen von Castorps Büros. Der Laptop des Ministerpräsidenten, der in Osterkamps Penthouse gefunden worden war, lag wieder auf Brunos Tisch. Die Spezialisten vom KK42 hatten den Passwortschutz geknackt, Bruno arbeitete sich durch die E-Mail-Korrespondenz.
«Du glaubst es nicht», sagte er. «Schau dir diesen Kitsch einmal an!»
Ein großer Hund, dem die Zunge heraushing. Ein Küken auf dem Kopf, zwei weitere dicht vor seiner Schnauze. Mit diesem Foto hatte Castorp seiner Frau am Tag seines Todes guten Morgen gewünscht – während er mit seiner Geliebten frühstückte, spekulierte Vincent.
«Fast alles ist privat.»
«Und dafür holst du mich her?»
«Warte.» Ein paar Mausklicks, dann eine neue Nachricht, kurz und ohne Bild. Keine Anrede, der Text legte gleich los:
Ihr könnt mich nicht anpinkeln! Vergesst nicht, dass ich euch in der Hand habe. Sag Mutti, dass ich auf ihr Angebot warte. Wenn wir uns nicht bis morgen Abend einigen, fliegt euch noch vor dem Wahlsonntag der ganze Laden um die Ohren.
Vincent hielt die Luft an. Er hörte seinen Herzschlag als rhythmisches Rauschen in den Ohren. Castorp war der Absender. Datum vom Sonntagabend, neunzehn Uhr zehn. Etwa eine Stunde nach seiner Rückkehr aus der Schweiz. Keine vierundzwanzig Stunden vor seinem Tod.
Adressat: Max Feist, Mitglied des Deutschen Bundestags.
Vincent griff nach Brunos Telefon und wählte die Nummer von Staatsanwalt Kilian.
«Gedankenübertragung», meldete sich Kilian. «Ich wollte Sie auch gerade anrufen.»
«Erst ich oder Sie? Ich habe Neues im Fall Castorp.»
«Bitte.»
«Nachdem am Montag seine Freundin das Penthouse verlassen hat, trifft er sich mit zwei Parteifreunden aus Berlin. Und wir haben eine E-Mail gefunden, in der Castorp am Vorabend dem einen von ihnen droht. Beziehungsweise der ganzen Partei samt der Kanzlerin. Wir sollten …»
«Genau deshalb muss ich Sie sprechen, Herr Veih. Stimmt es, dass Sie den Abgeordneten Max Feist und einen gewissen Herrn Brennecke aus dem Kanzleramt zu einer Aussage nötigen wollten?»
«Nötigen? So würde ich das nicht ausdrücken.»
«Wie dann?»
«Ich habe ihnen lediglich geraten, ihre Befragung nicht hinauszuschieben, da sonst die Medien von ihrer Verwicklung in den Fall Wind bekommen könnten. Ein Appell im Guten sozusagen.»
«So geht das nicht, Herr Veih!»
«Seit wann so streng, Herr Kilian?»
«Sie ahnen nicht, was Sie ausgelöst haben! Der Justizminister hat meinen Chef bearbeitet, und ich bin mir sicher, dass der Innenminister auch Ihrem Präsidenten auf die Füße steigen wird. Die beiden Herren aus Berlin werden uns eine schriftliche Erklärung schicken, zeitnah, wie es heißt. Und sie sind auch zur Vernehmung bereit. Wir müssen uns nur mit ihren Terminen arrangieren. Also bitte keine Drohungen mehr!»
«Was in der Erklärung stehen wird, kann ich mir denken.»
«Meine Macht stößt an Grenzen. Wir dringen in den Dunstkreis der Bundeskanzlerin ein. Das heißt, wir müssen uns mit größter Vorsicht bewegen. Ich hoffe, wir sind uns weiterhin einig.»
«Ist klar.»
«Wirklich?»
«Warum fragen Sie?»
«Es heißt, da stand ein Kamerateam vor der Staatskanzlei, als die Durchsuchung stattfand. Wie kommt das? Hatten wir nicht Diskretion vereinbart?»
«Von meinen Leuten hat keiner mit dem Fernsehen telefoniert. Dafür lege ich die Hand ins Feuer.»
«Wenn Sie sich da bloß nicht verbrennen, Herr Veih. Wir bewegen uns in einem Minenfeld, und ich hoffe, Ihnen ist das bewusst.»
Als Vincent auflegte, fühlte er sich wie ein Steuermann, dessen Schiff im Kreis fuhr, egal, wie kräftig er am Ruder drehte.
«Holunderbeersaft», sagte Bruno.
«Was?»
«Du siehst ziemlich müde
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