- Schwarzspeicher - Du kannst dich nicht verstecken
waren. So können Sie sich wenigstens einreden, dass Sie an seiner Stelle anders gehandelt hätten.«
»Sie haben meine Frage nicht beantwortet.«
Der Oberst blinzelte. Seine Augen waren blau mit einem Anflug von Grau an den Rändern. »Sind Sie sicher, dass Sie wissen wollen, warum Sie dran glauben mussten? Warum Sie länger auf Ihre Beförderungen warten müssen als alle anderen? Die Antwort könnte Ihnen nicht gefallen.«
Rebekka zuckte mit den Achseln. »Sie können mich heute nicht mehr erschüttern.«
Er schenkte ihr einen eigenartigen Blick. »Aber sagen Sie hinterher nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt.« Seufzend fuhr er fort: »Der Grund ist, dass niemand weiß, wer Sie wirklich sind.«
»Was soll das heißen?«, fragte sie scharf. »Ich bin Rebekka Meyer, geboren am …«
»Sie verstehen mich falsch. Wer ist diese Rebekka Meyer?«, wollte Kravcyk wissen. »Wer sind Sie? Warum haben Sie sich zum Beispiel dafür entschieden, Tag für Tag in einen Tornado zu steigen und Ihr Leben zu riskieren?«
»Weil ich meinem Land dienen will, und weil ich schon als Kind davon geträu…«
»Ich bitte Sie. Das sind doch alles Phrasen. Ich sehe es in Ihren Augen.«
Rebekka sah weg. »Ich bin Ihnen keine Rechenschaft schuldig.« Ihr halb gepackter Koffer lag auf dem Bett, und sie begann, die Sachen von der linken auf die rechte Seite zu schieben. »Abgesehen davon sind es keine Phrasen. Sie haben nicht die geringste Ahnung, was in mir vorgeht.«
»Stimmt genau. Und Sie sorgen dafür, dass es so bleibt«, erwiderte er. »Wissen Sie, bevor ich an Ihre Tür geklopft habe, war ich auf Ihrer MyLife-Seite. Sie ist leer. Es gibt dort kein Foto, keine Videoclips, nicht ein Wort zu Ihren Interessen. Keiner Ihrer Kameraden ist dort eingetragen, keine Familie, niemand. Sie haben keinen einzigen Friend.«
»Ich brauche keinen Modebegriff für meine Freunde.«
»Haben Sie denn welche?«
Sie spürte Kravcyks Blick in ihrem Rücken. »Hören Sie auf, mich zu verurteilen und sagen Sie mir, was das alles mit meiner Eignung als Soldatin zu tun hat.«
»Sie verstehen es wirklich nicht«, sagte Kravcyk mehr zu sich selbst als zu Rebekka. »Haben Sie eigentlich die Bilder von Marcos Brents Sohn gesehen? Zu niedlich, der Kleine.«
Sie fuhr herum. »Was soll das heißen? Dass ich geopfert wurde, weil ich keine Kinder habe, um deren Bilder ins Netz zu stellen?«
»Nein. Weil Sie überhaupt nichts von sich ins Netz stellen.« Kravcyk gestikulierte hilflos. »Ursprünglich wollte ich gar nicht persönlich herkommen. Ich hätte die Sache liebend gern mit einem Anruf erledigt, aber Sie sind immer offline. Ich habe versucht, Sie zu triggern. Wissen Sie, wie viele Treffer eine Suche nach Rebekka Meyer ergibt, von Ihrer leeren MyLife-Seite abgesehen?«
Rebekka wusste es.
»Keinen einzigen!« Kravcyk schien es selbst nicht glauben zu können. »Also habe ich ein wenig im Stützpunkt herumgefragt. Die meisten Ihrer Kameraden scheuen sich, Sie als eine von uns zu bezeichnen. Niemand weiß, ob Sie Geschwister haben oder was Sie in Ihrer Freizeit tun. Stattdessen erzählt man sich, wie Sie einmal mit Oberleutnant Schulze in Streit geraten sind, weil er ein Foto von Ihnen machen wollte, und dass Sie danach nie wieder auf einer Stubenfeier gewesen sind.«
»Vielleicht schütze ich mich vor Leuten, die mir nachspionieren«, sagte sie mit erstickter Stimme.
»Sie schützen sich nicht. Sie schotten sich ab. Sie tun so, als gäbe es kein Netz, als hätten sich die Regeln des Zusammenlebens in den vergangenen zwanzig Jahren nicht geändert. Haben Sie wirklich geglaubt, für uns andere würde es keinen Unterschied machen, dass wir niemals Ihr wahres Gesicht zu sehen bekommen?«
Noch lange, nachdem Oberst Kravcyk gegangen war, starrte Rebekka ins Leere. Seit vielen Jahren war die Einsamkeit ihre beste Freundin, doch heute spendete sie keinen Trost, sondern nagte an ihr wie Getuschel auf dem Schulhof oder wie hämische Kommentare auf Hunderten von Webseiten. Aber Rebekka weinte nicht. Sie hatte keine Taschentücher mehr.
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Meph zwängt sich durch einen hellen, von Werbeprojektoren gesäumten Tunnel. Menschen hasten an ihm vorbei, und der Autofokus kommt kaum damit hinterher, das Bild scharf zu halten. Meph ist Teil der Menge, aber er hat es nicht eilig. Die Kamera schwankt im Rhythmus seiner Schritte wie auf einem Fluss aus Helmen. Die der Männer sind mit Flammen oder Tarnmustern verziert und zeigen Markenbewusstsein. Die Modelle für
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