- Schwarzspeicher - Du kannst dich nicht verstecken
war das erste Mal, dass Littek sich direkt an sie wandte. Sein Blick richtete sich auf einen Punkt dicht neben ihr. Es verunsicherte Rebekka, dass er ihr nicht in die Augen sah. Ob Littek schielte oder ob die 3D-Kameras hier im Raum falsch justiert waren und ihm ein versetztes Abbild des Raumes lieferten, spielte dabei keine Rolle.
»Woher wusste ich was?«, fragte sie, um Zeit zu gewinnen.
»Nehmen wir an, diese Nachricht über die Flügelspitzen gab es wirklich. Woher wussten Sie, dass die Bodenstation sie nicht auch erhalten hatte?«
»Woher ich das wusste … Nun, als der Schießbefehl kam, hatten wir die Nachricht noch nicht über Funk durchgegeben.«
»Und deshalb glaubten Sie, die Einzige zu sein, die davon wusste? Es gibt ein Dutzend Möglichkeiten, wie die Worte ›Nicht schießen‹ in die Basis hätten gelangen können, ohne dass Sie sich hätten bequemen müssen, Ihr Wissen mit Ihren Befehlshabern zu teilen: durch Sperber Eins, ein unabhängiges Funkgerät an Bord des Airbus oder einen der IKM-Satelliten, die mir jeden Rostfleck auf dem Rumpf von Flug 799 anzeigten, lange bevor Ihr Tornado die Maschine erreichte. Und bevor ich es vergesse: Meine Leute müssen das Morsealphabet übrigens nicht im Netz nachschlagen.«
»Wenn Sie wirklich über die Nachricht Bescheid wussten, warum hat sich dann niemand die Mühe gemacht, Marcos und mir Bescheid zu geben?«, wandte Rebekka ein. »Ich musste annehmen, dass die Nachricht nicht angekommen war.«
»Also waren Sie sich doch nicht sicher? Zuerst behaupten Sie, Sie wussten mit Sicherheit, dass die Nachricht nur Ihnen bekannt war. Jetzt ist es nur noch eine Annahme. Was stimmt denn nun?«
»Ich … Ich wusste es nicht sicher. Aber ich hatte recht, nicht wahr? Niemand am Boden wusste, dass Flug 799 mit uns kommunizierte. So war es doch!«
Hilfesuchend sah Rebekka die Offiziere an, doch von ihnen kam keine Hilfe. Seib begegnete ihrem Blick gar nicht erst, und auch Kravcyk schüttelte nur bekümmert den Kopf. Rebekka begriff, dass er sich für sie so weit aus dem Fenster gelehnt hatte, wie er konnte. Von jetzt an war sie auf sich allein gestellt.
Kurz entschlossen änderte sie ihre Taktik. »Der Schießbefehl hätte 700 Menschen das Leben gekostet, unter denen viele deutsche Staatsbürger waren. Ich war durch mein Gewissen dazu verpflichtet, alles zu tun, um ihren Tod zu verhindern.«
»Im Falle einer Flugzeugentführung hätten Sie durch diese Entscheidung den Tod von weitaus mehr Menschen verursachen können«, stellte Littek fest. »Denken Sie an das World Trade Center oder den Funkturm. Hätten Sie eine derartige Katastrophe mit Ihrem Gewissen vereinbaren können?«
Rebekka verkniff sich die Bemerkung, dass der Funkturm nicht durch ein Flugzeug zum Einsturz gebracht worden war. »Ich stellte folgende Überlegung an: Vielleicht sind Terroristen an Bord von Flug 799. Vielleicht steuern sie ein Ziel mit einem derart großen Zerstörungspotenzial an, wie sie es skizzieren, auch wenn ich kein derartiges Ziel kenne, obwohl ich jeden Quadratkilometer im Mittleren Osten überflogen habe. Und vielleicht gelingt es den Terroristen, sich nicht abschießen zu lassen, bis sie dieses Ziel erreicht haben. In der ganzen Überlegung stecken so viele Vielleichts, dass es absolut fahrlässig und nicht mit meinem Gewissen zu vereinbaren gewesen wäre, den Befehl auszuführen.«
Littek legte die Fingerspitzen aneinander. »Von der Minute an, in der die Verbindung zu Flug 799 abriss, nahm ein Dutzend Mitarbeiter der Task-Force ›Flugzeugentführung‹ des IKM ihre Arbeit auf. Diese handverlesenen Männer und Frauen sammelten jede erdenkliche Information über die Situation, werteten psychologische Profile von Crew und Passagieren aus, erstellten Bedrohungsszenarien und wurden dabei von computergestützten Entscheidungssystemen beraten. Diese Task-Force kam zu dem Ergebnis, dass die beste Vorgehensweise in einem Abschuss besteht. Glauben Sie wirklich, dass Sie schlauer sind als die besten Leute, die das IKM aufbieten kann?«
Er wollte sie wirklich fertigmachen, dachte Rebekka, und es würde nicht mehr lange dauern, bis es ihm gelungen wäre.
Mit einer Ruhe, die sie selbst überraschte, erwiderte sie: »Es ist eine Sache, in einem klimatisierten Bürogebäude zu sitzen und Daten auf einem Padprojektor abzurufen. Ich frage mich jedoch, was Ihre ach so brillanten Leute getan hätten, wenn sie im stickigen Cockpit eines Jahrzehnte alten Bombers gesessen hätten, den man
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