Schwarztee - Tatort-Salzkammergut Krimi
Osten‹, wer sagte es denn.
Sie holte aus und warf das Werk nach der Uhr. Der Kuckuck verstummte mitten im
Ton.
10
Lavendel-Holler-Eistee
Sie wollte
entgleisen, sich entfernen, ihrem eigenen Leben aus den Schienen springen. Ihre
Augen schmerzten vor Anstrengung, womöglich kündigte sich eine Migräneattacke
an. Eine Pause, nur eine kleine Pause! Die Last abwerfen, doch sie wusste
nicht, wie. Unterkriechen, irgendwo, bis alles geklärt war. Ihr Herz raste,
während sie mit dem Motorrad die Straße nach Bad Aussee hinunterkroch. Lieber
nicht schneller fahren, ihr fehlte der Schlaf, die nötige Konzentration. Sie
sehnte sich nach der schwarzen Leere einer durchschlafenen Nacht. Ständig
träumte sie verworrenes, bedrohliches Durcheinander. Trug sie vielleicht die
Mitschuld an einem Mord? Sie hatte Angst, eine Pflanze beim Pflücken mit ihrem
tödlichen Pendant verwechselt zu haben. Unwahrscheinlich. Und dennoch. Die
Unruhe blieb.
Berenike schwitzte unter dem Helm. Das Wetter, sicher war es
das Wetter. Die Luft war feucht und warm. Mosern 189, sagte sie sich vor. Ihr
Weg führte sie über Bad Aussee an den Grundlsee und dort nach Mosern.
Sie fuhr an den Rand der kurvenreichen Straße. Vielleicht
half es, den Helm abzunehmen. Sie schob das Motorrad ein Stück in den Wald
hinein, stellte es ab. Ein paar Minuten durchatmen. Der Postbus fuhr vorbei.
Ein Cabrio raste dahin, von lauter Musik begleitet. ›I will survive!‹ dröhnte
als Echo durchs Tal. Genau in dem Moment öffneten sich die Wolkenschleusen. Der
Regen traf ihren Schädel in harten, schmerzhaften Tropfen. Dann ein Knacken, es
schien aus dem Wald zu kommen. Berenike konnte auf dem schmalen Fußweg keinen
Menschen ausmachen. Ihr Herz wummerte gegen die umgebenden Rippen. Es fühlte
sich an, als würde es die dünnen Knochen zertrümmern. In wenigen Sekunden, wenn
es so weiterging. Sie musste den Meister vom Toplitzsee suchen, am besten
persönlich bei ihm vorsprechen. Irgendjemand musste ihr helfen können. Intuitiv
spürte sie, dass er es war. Man sprach ihm große Macht zu – jene, die
überhaupt über ihn sprachen und sich nicht aus Angst davor scheuten.
Kleingeister.
*
Erde. Feucht, warm. Moosiger Boden. Ihr
schwindelte. Etwas Spitzes bohrte sich in ihren Bauch. Sie drehte sich auf die
Seite. Und da sah sie es. Eine Skulptur, faustgroße Steine, wahnwitzig
übereinander geschlichtet. Eine Warnung? Ein Scherz? War die Plastik vorher
schon da gewesen? Da war ja noch eine. Und noch eine. Ein Schrei hallte in
ihren Ohren wider. War es ihr eigener?
Rauschen. Es regnete. Ihre Kleidung war durchnässt. Sie
konnte die Straße erkennen, ihr Motorrad stand noch da wie zuvor. Warum nur
fühlte sie sich so benommen? Jetzt hörte sie auch wieder das Tosen der nahen
Traun. Sie stützte sich mit den Handflächen ab, kam in die Hocke. Nasse
Erdbrocken an den Händen, im Gesicht. Etwas knackte in der Ferne. Sie setzte
einen Fuß auf, zum Glück schien nichts gebrochen. Erde auf der grünen Hose,
nicht sehr passend für einen Besuch bei Rabensteins Hinterbliebenen, aber was
sollte sie tun?
Der Blick auf die Uhr überraschte sie: Kaum zehn Minuten
waren vergangen. All die Drohungen der letzten Zeit, sie war völlig
durcheinander. Als sie das Motorrad startete, war ihr, als würde sie ein
Augenpaar aus dem Wald heraus beobachten. Augen wie –
Berenike schloss blinzelte angestrengt und suchte das
Dickicht ab. Da war nichts. Alles sah idyllisch aus, wie immer. Ein
Schutzamulett würde helfen, würde sie vor neidischen und gefährlichen Blicken
bewahren. Rasch trank sie einen Schluck selbst gebrauten Eistee aus Lavendel
und Holler. Sie hatte dem Tee frischen Zitronensaft beigefügt und ihn gleich
nach dem Ziehen mit Eiswürfeln abgekühlt. Sie fühlte sich ein wenig erfrischt
und startete ihr Motorrad.
Von Bad Aussee wand sich die Straße weiter der Traun entlang.
Am Grundlsee wanderte Berenikes Blick an der Seeklause vorbei zu einem alten
Gebäude, das die Schulreformerin Eugenie Schwarzwald als ›Erholungsheim für
geistige Arbeiter‹ gegründet hatte. Jetzt sah es unbewohnt, fast verfallen aus.
Sie parkte in Ufernähe, die Sonne kam gerade hervor. Der Grundlsee lag offen
vor ihr, lang gestreckt und beinahe zart. Großes Panorama, das Wasser umhegt
von Grün: Saftige Wiesen, Hügel, dahinter die hohen Berge, wo es, wie sie
wusste, Richtung Toplitzsee ging. In einem kleinen Imbisslokal am nahen
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