Schwarzwaelder Dorfgeschichten
Unterwegs schlossen sich ihm mehrere Bauern an; ohne viel Umstände zu machen, hielten sie gleichen Schritt mit ihm und hatten gar viel zu fragen. So unbequem dieß dem Fremdling war, so ließ er sich's doch gefallen. Sehr ungeschickt aber war es, daß er auf die Frage: nicht wahr, es ist eine schöne Gegend hier herum? die Antwort gab: »So, so, es geht an.« Er dachte, daß sich hier nicht viel Malerisches zu finden scheine, und konnte das doch nicht sagen. Da ihm die Plumpheit der Kirchthurmspitze aufgefallen war, fragte er: »Wer hat die Kirche gebaut?«
Die Leute sahen ihn mit großen Augen an, sie konnten sich gar nicht denken, daß es einmal anders gewesen, daß es eine Zeit gegeben haben könne, da die Kirche noch nicht da war.
Zu Hause harrte der Lehrer auf den Buchmaier, der ihn seiner Erwartung nach abholen würde. Es dämmerte, auf der Straße regte sich lebendiges Treiben; nur der Lehrer saß still am offenen Fenster. Er gedachte jetzt lebhafter als je, wie nothwendig ihn: eine Lebensgefährtin sei, die ihn verstünde, damit er nicht mehr »unter Larven die einzig fühlende Brust« sei.
Es war Freitag Abend; die jungen jüdischen Burschen zogen nach ihrer Gewohnheit singend durch das Dorf. Einst war eine Stimme darunter, die jetzt nicht mehr so hell klingt. Man sang mehr Lieder aus den Büchern. Als man an der Wohnung des Lehrers vorüber kam, wurde eben das schöne Lied begonnen:
Herz mein Herz, warum so traurig?
Und was soll das Ach und Weh?
's ist ja so schön in fremden Landen!
Herz mein Herz, was fehlt dir denn?
Nach und nach verklang das Lied nach dem obern Dorfe zu. Der Lehrer fühlte sich in tiefster Seele bewegt. Er griff nach seiner Geige und spielte den Sehnsuchtswalzer; das waren im Dorfe nie gehörte Klänge. Bald vernahm er, daß sich viele Menschen vor dem Hause gesammelt hatten; sich selbst und die Anderen zur Lust aufrufend, spielte er dann noch einen neuen muntern Walzer. Jauchzen und Lachen auf der Straße lohnte ihm.
Endlich ward es dem Lehrer doch zu lange, er verließ das Haus und fragte den ihm begegnenden Mathes nach dem Buchmaier.
»Kommet mit,« sagte Mathes, »im Adler ist er und am Freitag Abend besonders gern.«
Der Lehrer fand es zwar nicht recht, daß der Schultheiß so bei den Anderen im Wirthshaus faß, er ging indeß doch mit.
Im Adler traf er große Gesellschaft und eifriges Gespräch. Die Juden, die großen Theils die ganze Woche nicht zu Hause sind, saßen hier unter ihren christlichen Mitbürgern und tranken; nur mit dem einzigen Unterschiede, daß sie, weil Sabbath war, nicht dabei rauchten.
Eine Weile herrschte Stille, als der Lehrer in die Stube trat; aber bald nach dem Willkomm und nachdem der Buchmaier neben sich Platz gemacht, fuhr dieser fort:
»Wie gesagt, der Thiers hat mit einem fetten Stück Deutschland Frankreich schmälzen wollen; pros't Alter, dir hat man die Supp' versalzen, du wirst nimmer so schleckig sein. Was meinet Ihr, Herr Lehrer?«
»Sie haben ganz Recht, nur sollten wir auch das Elsaß wieder haben.«
»Ja, mornemorgen, 1 aber die Elsäßer wollen nicht. Wie ich das letztemal in Straßburg gewesen bin, hab' ich mich in die Seel' 'nein geschämt, wie sie mich gefoppt haben, ob wir nicht wieder bald falsch Geld haben, das kein' Heimath hat? Ein rechtschaffener Mann hat mir gesagt: die Beamten von drüben, die wären lieber deutsch, bei uns sind sie am besten bezahlt, sind versorgt auf Kinder und Kindeskinder und haben Ruh', aber drüben ist das anders; die Beamten machen das nicht aus. Und wenn's deutsch würd', wer sollt's kriegen? Ein Sohn von dem falschen Sechser? Es ist glaub' ich, noch Einer da? Oder ein verlegtes hannöverisch Zehnguldenstück? Man thät's aber nicht Einem geben, man thäts verschnipfeln; sie haben ja den Ueberrhein in drei Theil' verschnitzelt, damit man's auch recht weiß, daß er deutsch ist.«
Der Lehrer saß in stummem Erstaunen nach dieser Rede des Buchmaier; da begann ein starker, wohlbeleibter Mann, dessen städtische Kleidung und eigenthümliche Redeweise den Juden nicht verkennen ließ:
»Ja, und die vielen Juden im Elsaß ließen sich eher massakriren, ehe sie deutsch werden thäten; drüben sind sie vollkommen gleich mit den christlichen Bürgern; wir, wir bezahlen alle Steuern gleich, werden Soldaten wie die Christen und haben doch nur die halben Rechte.«
»Hast Recht, Mendle, kriegst aber nicht Recht,« erwiderte der Buchmaier.
Eine Pause entstand, nach welcher der Buchmaier
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