Schwarzwaelder Dorfgeschichten
»Gezeichnet« verbindet sich ein schlimmer Nebenbegriff; man nennt die Rothen, Buckligen, Einäugigen, Hinkenden so und will damit sagen, daß Gott sie damit gezeichnet habe, weil sie gewöhnlich gefährliche und ungutmüthige Menschen seien. Weil man nun solche Unglückliche spöttisch und argwöhnisch behandelt, werden sie meist schalkhaft, bitter und hinterlistig; das anfänglich ungerechte Vorurtheil ruft die Folgen hervor, die man dann als Bestätigung für das Vorurtheil annimmt.
Das Vefele that zwar Niemand etwas zu Leide, ja es war gut und freundlich gegen alle Menschen; aber der Haß des ganzen Dorfes gegen den Schloßbauer wurde auch auf alle seine Kinder ausgedehnt.
Der Schloßbauer prozessierte schon seit achtzehn Jahren mit der ganzen Gemeinde. Er machte auf die patronatsherrlichen Rechte Anspruch, er bezog den Rauchhafer, Hühnerhafer, Weghafer, und wie alle die grundherrlichen Abgaben heißen; auch hatte er fünfzig Stimmen bei der Schultheißenwahl. Nur mit dem tiefsten Aerger, mit Schelten und Schimpfen entrichteten die Bauern diese ihre gewohnten Abgaben.
So sind die Menschen! Einem Grafen, Baron oder Freiherrn hätten sie ohne Widerrede alles entrichtet; aber jetzt verfluchten sie jedes Körnchen, das sie an einen ihresgleichen abgeben mußten. Sie wußten sich nicht anders zu rächen, als daß sie dem Schloßbauer Nachts seine Kornfelder niedermähten, wenn das Korn noch grün war. Das gereichte ihnen aber doppelt zum Nachtheil, denn der Schloßbauer brachte es durch Klagen beim Syndikatsamte dahin, daß der zugefügte Schaden – da die Thäter nicht entdeckt wurden – auf den Gemeindeschaden gestellt und ihm aus der Gemeindekasse vergütet wurde; auch hielt er sich fortan einen eigenen Flurschützen, den das Dorf zur Hälfte besolden mußte.
Die Reibereien zwischen den Dorfbauern und dem Schloßbauer dauerten aber noch immer fort.
Da ließ sich ein neuer Advokat in dem Städtchen Sulz nieder, und nun begann der Proceß der Gemeinde mit dem Schloßbauer, bei dem so viel Papier verschrieben wurde, daß man einen ganzen Morgen Acker damit zudecken konnte.
Das Dorf gehörte damals noch, wie ein großer Teil des Schwarzwaldes, zu Vorderösterreich, der Landvogt hatte seinen Sitz in Rottenburg, das Appellationsgericht in Freiburg im Breisgau; ein größerer Proceß konnte aber noch weiter getrieben werden. Bei der entfernten und verwickelten obern Gerichtsbarkeit war es daher ein Leichtes, den Proceß bis zum jüngsten Gericht in gehöriger Verwirrung zu erhalten.
Der Streit zwischen dem Schloßbauer und seinen Ortsbewohnern gestaltete sich mit der Zeit zur Feindseligkeit zwischen den Baisingern und Nordstettern. Die Baisinger foppten und neckten die Nordstetter auf Märkten oder in der Stadt, wo sie mit denselben zusammen kamen; nannten sie spottweise ihre Unterthanen und Grundholden, weil ein Baisinger Bauer über sie herrschte. Die Nordstetter, unter dem Namen der Spitzmäuligen oder der Spöttler bekannt, blieben keine Antwort schuldig. Ein Wort gab das Andere, man lachte, man scherzte, immer noch als »gut Freund«, aber die Anzüglichkeiten wurden immer derber, und ehe man sich's versah, war der Krieg auf irgend einer Seite ausgebrochen, und es setzte die ergiebigsten Prügel. Das war zum erstenmal auf dem Ergenzinger Markt, als dieß geschah, und nun konnten Nordstetter und Baisinger nie mehr beisammen sein, ohne sich zu prügeln. Stundenweit gingen namentlich die jungen Burschen beider Orte zu einem Tanze oder zu einer Hochzeit, tranken und tanzten zuerst ruhig mit einander, und am Ende brach das Hauptfest, eine tüchtige Prügelei, los.
Der Schloßbauer lebte aber mitten im Dorfe wie auf einer Einöde. Kein Mensch bot ihm die Zeit, kein Mensch besuchte ihn. Wenn er in's Wirthshaus kam, war Alles plötzlich still. Es war ihm immer, als ob sie gerade von ihm gesprochen hätten. Er legte seinen mit gutem Tabak gefüllten Beutel neben sich auf den Tisch, aber eher hätte einer seinen Mund auf einen Stein aufgeschlagen, ehe er den Schloßbauer um eine Pfeife Tabak gebeten hätte. Anfangs gab er sich Mühe, um die wie verabredete Feindseligkeit aller durch Freundlichkeit und Güte zu zerstreuen, denn er war von Natur ein guter und nur etwas strenger Mann; als er aber sah, daß es nichts fruchtete, verachtete er alle insgesamt, scherte sich wenig mehr um sie und setzte nun erst recht seinen Kopf darauf, sein Recht zu behaupten. Er schloß sich nun selber von Allen ab, nahm Taglöhner ans
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