Schwarzwaelder Dorfgeschichten
sind und nicht so in einer Kasern'. Da guck, blos da links können wir noch in's Freie sehen, aber da legen schon wieder mächtige Grundmauern, über's Jahr haben wir nichts als Stein vor uns.«
Bärbel, die früher, lange bevor Lorle geboren wurde, ein Halbjahr in der Stadt gedient hatte, konnte die Ausstellungen ihrer »Madam« in Manchem berichtigen. – Lorle hätte gar zu gern gewußt, wer denn die Leute seien die mit ihr unter demselben Dach wohnen, wie ihre Haushaltung ist, wovon sie leben und was sie treiben. Bärbel belehrte sie, daß das einmal in der Stadt so sei; da habe Jedes seinen abgeschlossenen Hausgang und kümmere sich nichts um das Andere. Lorle konnte sich aber dabei nicht beruhigen und sie klagte: »Ich möcht' jetzt nur wissen, wovon der Seiler da drüben lebt; ich hab' nicht gesehen, daß er seit gestern Morgen was verkauft hat. Und wenn ich über die Straß' geh und da sitzen die Leut' in so einem kleinen Lädle und es kauft ihnen Niemand was ab und da möcht' ich wissen, wovon die jetzt heut zu Mittag essen und noch so viel' Menschen, die so herumlaufen und man weiß gar nicht was sie thun.«
»Gut's Närrle, das kann man nicht wissen; daheim da kann man Jedem in seine Schüssel gucken, aber hier geht das nicht und du siehst ja, daß die Leut' doch leben, so laß sie machen.« So tröstete Bärbel.
Vom Hause gegenüber hörte man ein Mädchen fast den ganzen Tag Clavier spielen und singen, nur bisweilen wurde dieses Thun unterbrochen, indem ein Lockenkopf am Fenster erschien, straßauf und straßab schaute. »Das muß eine schöne Hausfrau geben,« bemerkte Lorle einmal, »und die kann ja Sonntags an der Musik gar kein' Freud' haben, wenn sie's so die ganz' Woch' hat, und horch' nur, wie sie sich gar nicht schämt und bei offenen Fenstern singt, daß man's die ganze Straß' hinab hört; wie das nur die Eltern zugeben!«
Wenn Reinhard nach Hause kam, war er meist liebevoll und zärtlich. Je tiefer er in das Getriebe der Staatsmaschine und des Staatsdienerlebens hineinschaute, je mehr er die Beengungen erkannte, die es ihm auferlegte, daß ihm der Kopf brauste, um so mehr erfaßte er den stillen Frieden, der in der Luft seiner Häuslichkeit schwebte; er sog ihn in vollen Zügen ein und wollte sich ihn stets erhalten; für ihn hatte er ja die Freiheit seines Seins geopfert. Wenn er bisweilen gedankenvoll und betrübt drein sah und Lorle ihn um die Ursache fragte, antwortete er: »Gutes Kind, du sollst und wirst nie erfahren, wie wirr und kraus es in der Welt hergeht. Du mußt mich nicht immer fragen, wenn ich so in Gedanken bin; es geht mir vielerlei im Kopf herum. Sei jetzt nur heiter, sei froh, daß du Vieles nicht weißt.«
»Was du meinst, daß ich nicht wissen soll, das will ich nimmer fragen,« entgegnete Lorle.
Auf den Gängen durch die Stadt und vor den Thoren begleitete der Collaborator fast immer das junge Ehepaar. Lorle tastete noch immer an der ihr fremden Welt herum und konnte die rechten Handhaben nicht finden.
»Ich weiß nicht,« sagte sie einmal, »mir kommen die Leut' in der Stadt gar nicht so lustig vor wie daheim; wenn's nicht einmal ein Schusterjung' ist, sonst pfeifen und singen die Leut' gar nicht wenn sie über die Straß' gehen, es ist Alles so still als wenn sie stumm wären.«
Der Collaborator gab ihr vollkommen Recht und sagte: »Die Leute bilden sich ein, sie hätten Gedanken statt Gesang, es ist aber nicht wahr.« Reinhard dagegen suchte Lorle klar zu machen, daß solche Ungezwungenheit in der Stadt nicht möglich sei; er knüpfte hieran eine weit abgehende Auseinandersetzung, daß das wahre gesunde Wesen in solcher Beschränkung nicht zu Grunde gehe, sondern sich in sich erkräftige. Der Collaborator durchkreuzte solche Darlegungen durch schneidende Entgegnungen und hier zeigte sich ein oft wiederkehrendes Zerwürfniß zwischen den beiden Freunden, unter dem zunächst Lorle leiden mußte. Wollte Reinhard seiner Frau Achtung vor der Bildung einflößen, sie zur Bewunderung und Nacheiferung solcher Zustände anleiten, von denen sie bisher keine Ahnung gehabt hatte, so suchte der Collaborator Alles in die Luft zu sprengen; denn es entwickelte sich bei ihm immer mehr die Ansicht, die er in seinem Unmuthe auch bisweilen geradezu aussprach: »Wir haben uns mit unserer ganzen Civilisation in eine Sackgasse verrannt.«
Lorle, die zwischen den Streitenden ging, gewann wenig Frucht aus diesen Erörterungen.
Einst bemerkte sie: »Ich mein' die Hunde bellen in der
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