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Schwarzwaelder Dorfgeschichten

Titel: Schwarzwaelder Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berthold Auerbach
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welche so viele große Männer ihr ganzes Leben gesetzt. Hab' du nur die Achtung und du wirst die Sache auch schon bekommen.«
    Lorle versprach, sich recht zusammen zu nehmen.
    Im letzten Winterconzerte, als der Collaborator nach einem Musikstücke fragte, was sie jetzt gedacht habe, sagte sie: »An Alles, und ich weiß doch nicht. Wenn so die Flöten und Trompeten und Geigen miteinander reden und einander anrufen und nachher Alle zusammen sprechen, da ist's doch, wie wenn Andere als Menschen reden und da thut's Einem so wohl, an Alles zu denken, so geruhig; es ist wie wenn die Gedanken auf lauter Musik spaziren gingen, hin und her.«
    Der Collaborator murrte in sich hinein: »O weh! die wird nun auch gebildet.«
    Am Theater, wohin Reinhard sie in der ersten Zeit einige Mal führte, fand Lorle keine nachhaltige Freude; die lustigen Stücke kamen ihr gar zu närrisch vor, und bei den kreuzweis geköperten Intriguenstücken war's ihr zu Muthe wie in einem Wirbelwind, der von allen Seiten reißt und zerrt, so daß man sich gewaltig zusammennehmen muß. Von zwei Stücken redete sie aber noch lange. Das eine war die Stumme von Portici. Es kam ihr grausam vor, daß die Hauptperson stumm ist und die andern Alle singen; auch meinte sie, es sei schon hart genug, wenn ein Mädchen betrogen wird, es brauche keine Stumme zu sein. Daß die Fischer, nachdem sie einige Soldaten niedergemacht, unmittelbar vor dem Ausbruch der Revolution niederknieten und beteten, kam ihr recht brav vor, aber sie hatte gräßliche Angst, es kommen jetzt andere Soldaten und schießen sie Alle nieder. An Schiller's Tell hatte sie volle Freude. In der versteckten Loge, wohin Reinhard sie immer führte, gab sie ihm während der ganzen Vorstellung kaum eine Antwort; sie sah ihn oft still an, mit der Hand begütigend, als dürfe man Etwas nicht wecken. Auf dem Heimwege sagte sie: »So wie der Tell, so wär' mein Vater in seinen jungen Jahren gewiß auch gewesen.«
    Reinhard nahm ihr das Versprechen ab, über derartige Dinge mit niemand Anderm als mit ihm zu reden.
    Lorle nahm die ganze Welt um sich her keineswegs als eine gegebene hin; gerade weil ihr die Ueberlieferungen mangelten, worauf sich so Vieles stützt, erschien ihr Alles, als ob es erst heute und für sie erstünde; sie schmälzte und salzte nach ihrer eigenen Zunge.
    Reinhard unterließ es jedoch bald, Lorle in die Bildungs- und Kunstsphären einzuführen, und sie hatte auch nie Sehnsucht darnach; war's ihr nicht vor die Augen gerückt, war's für sie nicht da. Reinhard sah sich nun selbst mitten im Strudel einer ihm wesentlich neuen Welt, er trat in die sich vorzugsweise so nennende »Gesellschaft«, in der Alles, was nicht dazu gehört, als zusammengelaufenes, höchstens erbarmungswürdiges Volk gilt. Bei der eigenen Unfruchtbarkeit der Gesellschaft an erfrischenden Elementen ward Reinhard ihr Adoptivkind. In der ersten Zeit betrachtete er das Frequentieren der Salons – eine Phrase mit welcher die kleine Residenz aufputzte – als einen Theil seiner Amtspflichten; es kam ihm nicht in den Sinn, wie traurig es sei, daß Lorle so allein zu Hause sitze; da waren ja noch so viele Andere, die sich mit einer Bürgerlichen und nicht wie er, nun gar mit einem Bauernmädchen »mesalliirt« hatten und sie mußten sich's Alle gefallen lassen, hier als ledige Burschen zu gelten.
    Anfänglich war es Reinhard oft, wie wenn man aus freiem Felde in ein dumpfes Gemach tritt; die darinnen waren, wissen nichts von der gepreßten Luft, aber dem Eintretenden beengt sie die Brust. Bald jedoch bewegte er sich in diesem Treiben wie in seiner eigenen Welt. Zwei Umstände förderten dies mit besonderer Raschheit. Der außerordentliche Landtag war einberufen. Der Prinz hatte mit Reinhard oft den Plan durchsprochen, daß man in dem neuen Palais die Bel-Etage des Mittelbaues mit den schönsten Gegenden des Landes zieren müsse, die Reinhard
al fresco
malen sollte; in dem Fries sollten die eigenthümlichen Volkssitten durch Figuren in den verschiedenen Volkstrachten dargestellt werden. Reinhard war voll Seligkeit, ein solches Werk ausführen zu können, das als Erfüllung eines Lebens gelten durfte; er stellte das Bild »das neue Lied« zur Seite und machte allerlei Entwürfe. Die Vorlegung derselben gab reichen Unterhaltungsstoff, und Reinhard ward dadurch vielfach Mittelpunkt der Gesellschaft. Nun aber ergab sich, daß die Landstände mit großer Mehrheit nicht nur die Gelder zum Bau des neuen Palais, sondern auch für

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