Schwarzwaelder Dorfgeschichten
sie ihm zu Herzen gesungen hatte.
Der Vetter Arthur hatte verrathen, daß Mathilde »waldfrische Volkslieder« singen könne, und nun mußte sie, da der Prinz persönlich darum bat, eines derselben vortragen. Sie stand eine Weile an dem Piano und hielt sich krampfhaft an demselben, um Ruhe zu gewinnen; dann stimmte sie in kecken Tönen ein Jodellied aus den Bergen an, so hell und froh wie die Lerche, die mit thaufeuchter Schwinge hineinjauchzt in das Morgenroth. Heute zum Erstenmal lobte Reinhard ihren Gesang, Mathilde aber war betrübt; sie klagte, daß es ihr vorkäme, als ob sie das heilige Geheimniß ihrer Heimathberge verrathen und profanirt habe; sie glaube, daß ihr dieses Lied entweiht sei, weil sie es hier unter Kerzenschimmer und ausgebälgten Uniformen als Curiosität preisgegeben. Reinhard widersprach ihr und erklärte, daß das wahrhaft Heilige, was wir in der Tiefe der Seele hegen, unberührt und unverletzt durch die ganze Welt schreite; daß das, was gestört oder gar zerstört werden kann, in sich und für uns keine rechte Wahrheit hatte. Mathilde war beruhigter.
Oft wollte sie auch, daß Reinhard ihr viel von seiner Frau erzählte; sie hegte offenbar den Wunsch, Lorle kennen zu lernen, aber Reinhard war in seinen Mittheilungen kurz und lehnte jenes nicht angesprochene Ansinnen, ohne es entschieden zu bezeichnen, mit Bestimmtheit ab; er sah darin doch mehr eine bloße Neugier und fürchtete zugleich, daß sich Lorle nicht wie er wünschte benehmen möchte.
Der Graf lud Reinhard auf Veranlassung seiner Tochter zu sich ins Haus und Mathilde, die in Gesellschaft immer etwas Schmerzliches, Empfindsames hatte, war hier das heiterste Kind, voll sprudelnder Jugendlust; sie sang und spielte mit Fertigkeit und Geist und ihre Zeichnungen verriethen ein ungewöhnliches Talent. Alle Blüthen der edelsten Bildung standen hier in schöner Entfaltung und wenn Reinhard etwas derartiges bemerkte, sah Mathilde mit andächtiger Hoheit auf und sagte: »Sie hätten meine selige Mutter kennen sollen.« – Bisweilen sangen sie auch gemeinsam scherzhafte und schwermüthige Volkslieder; von solchen wohlgebildeten Stimmen vorgetragen, hatten diese Töne noch eine ganz besondere Macht.
Wenn nun Reinhard aus der Gesellschaft nach Hause kam, regte sich oft der alte böse Blutstropfen in ihm; seine Häuslichkeit kam ihm so eng, so kleinbürgerlich vor. Drückte dann Lorle mit kindlichem Stottern ihre Gedanken und Empfindungen aus, so hörte er selten darauf und gab sich noch seltener die Mühe, sie zu ergänzen und zu berichtigen; er war es müde, das ABC der Bildung vorzubuchstabiren. Auch fiel ihm jetzt eine eigenthümliche Ungrazie Lorle's auf: die Hastigkeit und Kräftigkeit ihres Gebarens war nun unschön; sie faßte ein Glas, das Leichteste, was sie zu nehmen hatte, nicht mit den Fingern, sondern mit der ganzen Hand, ihre Bewegungen hatten in den Stadtkleidern eine auffallende Derbheit, sie trat immer stark mit den Fersen auf und er bat sie einmal, den schwebenden und sich wiegenden Gang auf den Zehen anzunehmen.
Lorle entgegnete: »Just Alles brauch' ich nicht erst zu lernen, ich hab' schon laufen können, wie ich noch kein Jahr alt gewesen bin.«
Zu den übrigen Residenzbewohnern hatte Reinhard keine Beziehung und er erfuhr erst spät, daß ihn viele den »Civilcavalier« nannten und sich damit erhaben dünkten, während sie doch selber die fürstliche Gnadenprobe vielleicht nicht besser bestanden hätten. Zu den wenigen Künstlern der Stadt war Reinhard in eine schiefe Stellung gerathen; er war so ohne alle Vorbereitung zu seinem Amte gelangt; die Einen glaubten in der That, daß ihm dieß nur durch Winkelzüge gelungen sei, die Anderen verleitete Neid und Bitterkeit zu ungerechter Beurtheilung Reinhard's und seiner Leistungen.
So hatte er außer der Hofgesellschaft nur den Collaborator, aber auch dieser zürnte ihm; er sprach offen seinen Grundsatz aus: »Kein Ehrenmann darf von der innerlich angefaulten Societät mit sich eine Ausnahme machen lassen, so lange sich dort nur noch eine Spur von Exclusivem findet.«
Der Collaborator zürnte mit Reinhard doppelt, weil dieser mit Lorle, dem frischen Naturkinde, kunstgärtnere. Das that ihm wehe, aus persönlichen wie aus allgemeinen Gründen. Er erkannte leicht im Kleinen und Vereinzelten ein allgemeines, ja ein weltgeschichtliches Gesetz. Lorle war ihm ein Typus des Urmenschlichen, des ursprünglich Vollkommenen, an sich Vollendeten, unberührt von den
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