Schwarzwaelder Dorfgeschichten
bis zu seinem Wiederkommen vor; nun aber, weil er sonst wortkarg und mürrisch war und fast nur sprach, wenn er Etwas zu tadeln und zu lehren hatte, hörte sie seine Auseinandersetzungen an ohne ein Wort zu erwidern. Reinhard fühlte sich dadurch oft im Tiefsten unglücklich.
Die Bärbel erkannte mit schwerer Bekümmerniß, wie so bald das einige Leben der Eheleute sich schied; sie suchte Lorle auf allerlei Weise zu beruhigen, und ihr Haupttrost war: »Es wird schon Alles besser gehen, wenn du einmal ein Kind hast.«
Da warf sich Lorle weinend an ihre Brust und sagte:
»Ich fürcht', ich fürcht', das wird nie geschehen; ich hab' mich versündigt, ich hab' ein Kind, das den Heiland vorstellt auf den Schoos nehmen müssen, wie er mich damals abgemalt hat. Ich hab's nicht thun wollen, er hat's aber gewollt; Gott wird doch barmherzig sein und mir mein' Sünd' vergeben.« –
Die Bärbel suchte ihr die schweren Gedanken auszureden, glaubte aber selbst mehr daran als die Unglückliche selber.
Als Reinhard einmal wieder auf einen ganzen Tag zur Jagd gegangen war, machte sich Lorle die heimliche Freude und half der Bärbel bei der Wäsche; beim Auswinden derselben drehte Lorle zuerst einen Ring und die Bärbel versäumte nicht, den alten Waschweiberglauben anzubringen, daß Lorle sich eine Wiege drehe; Lorle spritzte nun der Bärbel einige Tropfen in's Gesicht und ging in die Stube.
Eine allerhöchste Laune brachte Lorle unversehens in Berührung mit dem Gesellschaftskreise Reinhards. Ungewöhnlich früh kam dieser eines Abends nach Hause und verkündete, daß der Prinz Lorle zu sprechen wünsche und daß sie daher andern Tages mit ihm auf die Gallerie gehen müsse; daß man begierig war, das Urbild der Madonna zu sehen, verschwieg er wohlweislich.
»Ich mag aber nicht, ich hab' nichts beim Prinzen zu suchen,« entgegnete Lorle.
»Ja, Kind, das geht nicht, einem fürstlichen Wunsche muß man gehorchen, sonst beleidigt man; da wird man nicht vorher gefragt und ich hab's nun auch einmal versprochen.«
»Wenn er noch eine Frau hätt', aber so zu einem ledigen Bursch', weil er's g'rad will!«
»Wie einfältig! Es ist vollkommen schicklich, ich geh' ja mit,« sagte Reinhard heftig; Lorle sah auf und schwere Thränen hingen in ihren Wimpern. Reinhard faßte ihre Hand und sagte: »Sei nicht bös, sei gut, glaub' mir du verstehst das nicht, darum folge mir, du kannst's immer.«
»Ja, ja, ich will's ja thun, aber ich darf doch auch was sagen. Wenn das so fortgeht, weiß ich gar nicht mehr, ob ich nicht närrisch bin, ich ... ich weiß gar nicht mehr, bin ich denn noch und was soll ich denn?«
Als ihr Reinhard Trost einsprach, entgegnete sie: »Gieb jetzt du nur Fried', es ist Alles gut, ja, ich bin zufrieden, sei du's nur auch; aber ich wollt', die ganz Welt ließ' mich in Ruh, ich will ja auch nichts von ihr.«
»Du bist mir doch nicht mehr bös?«
»Nein und zehnmal nein, ich thu' ja was du willst, aber laß mich nur auch reden.«
Reinhard ging nun in das Haus des Collaborators und bat Leopoldine, am andern Morgen zu ihm zu kommen und Lorle für die Audienz vorzubereiten; dann schloß er sich dem Collaborator an und ging mit ihm nach seinem ständigen Bierhause, wo in einem kleinen Stübchen mehrere jüngere Advocaten, Aerzte, Kaufleute und Techniker wohlgemuth beisammen saßen, rauchten, tranken und plauderten. Anfangs war ein stummes Erstaunen, den »Civilcavalier« in der Kneipe zu sehen; dann aber nahm das Gespräch seinen ungehinderten Verlauf. Die tiefsten Fragen von Welt und Zeit wurden hier mit einer Schärfe und Eindringlichkeit, mit einem Feuer verhandelt, daß Reinhard im Stillen bemerken mußte, wie hier die frischeste Lebendigkeit herrschte, weil Jeder bot, was ihn bewegte, weil man überhaupt nicht auf Unterhaltung ausging; es kam ihm vor, daß im glänzendsten Salon in einem Monat nicht so viel ursprünglicher Geist laut werde, als jetzt hier in dem kleinen, spärlich erleuchteten Stübchen. Das Laute und die Derbheit mancher Formen war ihm wieder neu und fremd, denn er kam aus den Kreisen, wo man flüstert und lächelt und nicht streitet und lacht. An einem monarchischen Mittelpunkte fehlte es indeß auch hier nicht, und seltsam genug war dies der Collaborator; seine machtvolle Stimme und sein ausgebreitetes Wissen sicherten ihm diese Würde ohne alle Etikette. Reinhard blieb länger als er gewollt hatte, er war wie in einer fremden Stadt: dort war ein Menschenkreis voll wirklicher und eingebildeter
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