Schwarzwaelder Dorfgeschichten
Interessen, der nie aus sich heraustrat und sich geberdete, als ob er allein die Welt sei und so dem Geringfügigsten, einem Anreden oder Uebersehen, einem halben oder einem ganzen Lächeln eine Bedeutung beilegte. Und hier – hundert Schritte davon lebten Menschen aus einem andern Jahrhundert, die sich im Kampfe erhitzten, als ob sie vom Forum, aus der Volksversammlung kämen oder sich darauf vorbereiteten.
Wenn er an Lorle dachte, befiel ihn eine unerklärliche Angst; er meinte, es geschehe zu Hause ein großes Unglück, das Haus brenne ab und jeden Augenblick müsse man die Sturmglocke hören; dennoch saß er wie festgebannt. Ahnte er vielleicht, in welchen schweren Gedanken Lorle in Schlaf gesunken war? Als er endlich nach Hause kam, athmete er leichter auf; da stand wie immer das Oellämpchen auf der Treppe; er ging leise in die Kammer. Lorle schlief ruhig, er betrachtete sie lange, sie sah so heilig aus in ihrem Schlafe, fast wie damals als er sie zum Erstenmal auf der Laube wiedergesehen, nur lag jetzt ein Zug des Schmerzes auf ihrem Antlitz und ihre Lippen zuckten öfters.
Ein Außerordentliches geschah. Reinhard war am andern Morgen früher auf als Lorle, er hatte die Schlüssel gefunden und legte nun die Kleider zurecht, die sie anziehen sollte. Als er so über Kisten und Kasten kam, lobte er im Stillen die Ordnungsmäßigkeit seiner Frau; er freute sich auf ihren Dank für seine Vorsorglichkeit und ging immer auf den Zehen umher; es war ihm so leicht als würde er getragen.
Als Lorle erwachte und die Kleider sah, rief sie: »Was hast du gemacht? Ich bitt' dich um der tausend Gotts willen, überlaß mir Alles ganz allein. Denk nur nicht immer, daß ich gar nichts versteh'. Du hast mir gewiß Alles untereinander gekrustet. Ich bitt' dich, laß mich Alles allein in Richtigkeit bringen.« –
In Reinhard wogte und brauste es, er hielt aber an sich und ging in die Stube; dort stand er eine Weile, die Stirn an die Fensterscheibe gedrückt, in tiefem, namenlosen Schmerz. Schnell nahm er dann Hut und Stock und ging davon. Es war ein frischer Morgen, im Schloßgarten blühten die Blumen so schön und die Vögel sangen so lustig, unbekümmert in wessen Garten sie sich so laut machten, und ob die Bäume, in deren Zweigen sie saßen, einen Titel angehängt hatten oder nicht. Reinhard sah und hörte nichts; es kam ihm vor, als ob Jemand leibhaftig ihm das Wort aus Hebels Karfunkel in's Ohr geraunt hätte: »Los, du duursch mi ... mittem Wibe hesch's nit troffe;« 1 er suchte das Wort wegzubannen, aber es kam immer wieder und sprach sich von selbst.
Als er heimgekehrt war, sagte er zu Lorle: »Wir wollen gut sein.«
»Ich bin ja nicht bös,« entgegnete sie.
»Nun, es ist jetzt eins, ich bin gewiß viel Schuld, aber laß Friede sein.«
Dieser war nun auch bis Leopoldine kam. Sie half Lorle ankleiden, lehrte sie einen Knicks machen und wie man den Kronprinzen anreden müsse. Lorle schien zu Allem willig; als aber Leopoldine sich entfernt hatte, riß sie Haube und Chemisette herunter und sagte: »Ich geh nicht, ich geh' nicht, ich bin kein Staarmatz, und du läßt'st auch einen Narren aus mir machen und ich merk's wohl: wenn man mich dumm macht und da werd' ich immer schlechter, und ich bin so jähzornig und so ungeduldig ... Guter Gott! Was soll denn aus mir werden?«
Sie weinte laut auf. Reinhard sagte mit thränengepreßter Stimme: »Nichts, du sollst nichts Anderes werden, bleib du das gute Kind.«
»Ich bin kein Kind, das hab' ich dir schon hundertmal gesagt. Jetzt will ich mich aber ordelich anziehen, und du wirst sehen, ich mach' keinen Unschick.«
Endlich gingen sie miteinander zur Gallerie. Reinhard wagte es kaum mehr, Lorle eine Verhaltungsregel zu geben. Als sie nun hier zum Erstenmal die Werkstatt Reinhards sah, erschrak sie über die grausige Unordnung; sie wollte scheuern und kehren, mußte aber der dringenden Bitte nachgeben, sich doch ruhig zu verhalten und ihre glänzenden weißen Handschuhe zu schonen. Vor Unruhe konnte sie keine Minute still sitzen, eine fieberische Aufregung durchwogte sie, sie wollte sich nicht verblüffen lassen, sondern dem Prinzen zeigen, daß sie auch nicht auf den Kopf gefallen sei, und zugleich Reinhard beweisen, wie sie mit Jedem reden könne, sei er wer er wolle. Mit Bangigkeit bemerkte Reinhard diese Erregung, er ahnte die gewaltsame Hast und Unruhe in Lorle und daß sie diesem Ereignisse gegenüber die Unbefangenheit und Harmlosigkeit ihres Wesens aufgegeben;
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