Schwarzwaelder Dorfgeschichten
erheiterte sich, die Körner waren nothreif, sie waren fester und in ihrer Hülse lockerer als man glaubte; noch war nicht Alles verloren, wenn auch der Schaden groß war.
Durch alle Gewannen schweifte Luzian und fand seine Vermuthung bestätigt. Die Sonne arbeitete mit aller Macht und suchte wie mit Strahlenbanden die Halme aufzurichten, aber ihre Häupter waren zu schwer und in den Staub gedrückt; hier mußte die Menschenhand aufhelfen.
Als Luzian, eben aus dem Nesselfang kommend, in die Gärten einbog, wurde er mit den Worten begrüßt: »Ah, guten Tag, Herr Hillebrand.«
»Guten Tag, Herr Oberamtmann,« erwiderte Luzian, und nach einer kurzen Pause setzte er gegen den begleitenden Pfarrer und Schultheiß hinzu: »Guten Tag, ihr Herren.«
Der Pfarrer nickte dankend.
»Ich habe mir den Schaden angesehen,« berichtete der Oberamtmann, »der Ihren Ort betroffen hat; das hätten wir auf der letzten landwirtschaftlichen Versammlung nicht gedacht, daß wir so bald die Probe davon haben sollen, was sich bei solchen Gelegenheiten retten lasse. Wie ich höre, sind Sie der Einzige, der in der Hagelversicherung ist.«
»Ja, ich und mein Egidi.«
Luzian hatte doch gewiß das tiefste Kümmerniß über die Fahrlässigkeit der anderen, aber er konnte in diesem Augenblicke nichts davon laut geben; so leutselig auch der Beamte war, so blieb er doch immer der Oberamtmann, dem man auf seine Fragen antworten mußte und vor dem kein Gefühl auszukramen ist, wenn man auch das Herz dazu hätte. Außerdem hatte Luzian, sobald er einem Beamten nahe kam, etwas von der militärisch knappen Weise aus seiner Jugendzeit her. In diesem Augenblicke war es Luzian, der unter sich sah, als fühlte er den stechenden Blick des Pfarrers; er schaute auf, die Blicke Beider begegneten sich und suchten bald wieder ein anderes Ziel.
Man war am Hause Luzians angelangt. Er wollte sich höflich verabschieden, aber der Oberamtmann nöthigte ihn mit in das Wirthshaus, da man dort noch allerlei zu besprechen habe. Luzian willfahrte und am Pfarrhause empfahl sich der Pfarrer. Der Abend neigte sich herein, die Dorfbewohner standen am Wege und grüßten den Amtmann ehrerbietig, es schien ihnen Allen leichter zu sein, da jetzt ihre Zustände bei Amt bekannt waren, als sei nun die Hülfe bereits da.
Es wird vielleicht schon manchem Leser aufgefallen sein, daß der Beamte einen einfachen Bauersmann mit Herr anredete. Schon um dieses einzigen Umstandes willen verdiente der Oberamtmann eine nähere Betrachtung, wenn wir auch nicht noch mehr mit ihm zu thun bekämen.
Die schlanke feingegliederte Gestalt, dem Ansehen nach im Anfange der dreißiger Jahre stehend, bekundete in der ganzen Haltung etwas sorglich, aber ohne Aengstlichkeit Geordnetes. Es lag darin jene schlichte Wohlanständigkeit, die uns bei einer Begegnung auf der Straße oder im Felde darauf schwören ließe, daß der Mann in einem wohlgestalteten Heimwesen zu Hause sei. Die blauen Augen unseres Amtmannes waren leider durch eine Brille verdeckt, der braune Bart war unverschoren; nur gab es dem Gesichte etwas seltsam Getrenntes, daß die Bartzier auf der Oberlippe allein fehlte; denn es wird noch immer als eine Ungehörigkeit für einen Mann in Amt und Würden betrachtet, den vollen Bart zu haben. Diese neue Etikette rechtfertigte sich noch persönlich bei unserem Amtmann, der nebst der Gewohnheit des Rauchens auch die des Tabakschnupfens hatte. Die Dose diente ihm zugleich auch als Annäherung an viele Personen, denn es bildet eine gute Einleitung und versetzt in eigentümliches Behagen, wenn man eine Prise anbietet und empfängt. Unser Amtmann bestrebte sich auf alle Weise, sein Wohlwollen gegen Jedermann zu bekunden.
Er stammte aus einer der ältesten Patrizierfamilien des Landes, in welcher, dem Sprüchworte nach, alle Söhne geborene Geheimeräthe waren. Nach vollendeten Studien hatte er mehrere Jahre in Frankreich, England und Italien zugebracht, und gegen alle Familiengewohnheit hatte er, nachdem er Assessor bei der Kreisregierung geworden war, diese gerade Carriere aufgegeben und sich um seine jetzige Stelle beworben. Er wollte mit den Menschen persönlich verkehren und ihnen nahe sein, nicht blos immer ihr Thun und Lassen aus den Akten herauslesen. In dem Städtchen gab es manches Gespötte darüber, daß er jeden Mann im Bauernkittel mit Herr anredete, die Honoratioren fühlten sich dadurch beleidigt; er kehrte sich aber nicht daran, sondern war emsig darauf bedacht, Jedem seine Ehre zu
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