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Schwarzwaelder Dorfgeschichten

Titel: Schwarzwaelder Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berthold Auerbach
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wenn die Mutter fragte: »Warum?« antwortete sie lächelnd: »Weil der Amtsverweser da über den Markt herkommt, er ist ein saubers Bürschle, er speist unten an der Tafel.« Die Mutter ermahnte sie vom Fenster wegzugehen, sie müsse sich ja schämen, wenn er sie sähe; Fränz aber behauptete, daß das gar nicht der Fall sei und bald bemerkte der Amtsverweser, welche Augen nach ihm ausschauten und es entstand ein regelmäßiges und immer entschiedeneres Grüßen herauf und herab am Mittag. Die Mutter ward auch bald neugierig, den Mann zu sehen, den sie seit jenem schrecklichen Abend nicht mehr erblickt hatte und von da an hatte Fränz gewonnen Spiel; sie ließ nicht ab und hatte dabei willfährige Hülfe an der Frau Postmeisterin, bis die Mutter sich entschloß mit ihr an der Tafel zu speisen. Martha gab endlich nach, besonders als ihr Fränz immer eindringlicher vorhielt, wie gut das für den Vater wäre, wenn man mit dem Amtsverweser bekannt sei, und wie man auch gesprächlich Manches von ihm erfahren könne über den Stand der Untersuchung. Das leuchtete ein. Anfangs stand Martha oft viele Tage mit trockenem Munde auf, sie konnte keinen Bissen hinabbringen, wenn sie den »Herrn« ansah, der ihr so schweres Herzeleid angethan und der ihren Mann auf Zeitlebens in's Zuchthaus bringen konnte. Es war ihr immer, als säße sie mit einem Henker am Tisch und sie begriff gar nicht, wie er so ruhig Speise und Trank zum Mund führte, während er auf die Fragen seiner Tischnachbarn erzählte, daß heute Der und Jener eingebracht oder daß Dieser oder Jener in's Zuchthaus abgeführt worden sei. Martha sah dann oft nach seinen Händen, ob die nicht vom Blute rauchten. Nach solchen Tagen hatte Fränz immer einen schweren Stand, denn die Mutter wollte durchaus nicht mehr an die öffentliche Tafel. Nun aber hieß es, das könnte dem Vater schaden, wenn man jetzt zeige, daß man sich schäme, die Mutter verstand sich mit schwerem Herzen dazu und Fränz hatte oft aufrichtiges Mitleid mit ihr, wenn ihr der Gang zu Tisch so peinvoll wurde; aber sie beredete sich, es sei nöthig, daß sich die Mutter wieder an die Menschen gewöhne und sie vermochte die Postmeisterin, sich mit an den Tisch zu setzen und die Mutter beständig im Gespräch zu erhalten. Der Amtsverweser lehnte auch fortan jede bezügliche Frage seiner Nachbarn ab, und man war fast heiter. Die Mutter lebte sichtlich wieder auf. Fränz war in der Wohnstube der Postmeisterin bald mit dem Amtsverweser bekannt geworden und dieser theilte ihr freiwillig, aber unter dem Siegel der Verschwiegenheit, frohe Kunde über den Vater mit. Martha fand ihn nun gar nicht mehr henkergleich, sondern grundmäßig gut, man sähe es ihm ja an den Augen an; sie segnete ihm jeden Bissen und jeden Trunk, den er zum Mund führte. Von nun an kam der Amtsverweser jeden Tag später als gewöhnlich in die Kanzlei, denn er trank seinen Kaffee und ranchte seine Zigarre in der Wohnstube der Postmeisterin und unterhielt sich eifrig mit Fränz, die redegewandt und schelmisch war und der die verhüllende Trauer noch einen besondern Reiz verlieh. Dennoch kam es nicht weiter als zu einer gewissen gefallsamen Annäherung zwischen Fränz und dem Amtsverweser, denn Beide hüteten sich in Betracht der Umstände vor jeder ausgesprochenen Zuneigung. Was Wunder, daß unter solchen Verhältnissen die Untersuchung gegen Diethelm nur mangelhaft geführt wurde, zumal keine rechten Beweise vorlagen. Der Verweis, den der Amtsverweser darob von dem neubestallten Richter erhielt, nützte nicht mehr viel und der Richter versuchte nun selbst den rechten Haken zu finden.
    In der Wohnstube der Postmeisterin war große Trauer, als der Amtsverweser feine Versetzung nach einem vielbesuchten Badeort ankündigte. Als er bald Abschied nahm, reichte ihm Fränz mit einem vielsagenden Blick die Hand; der Amtsverweser bot nun auch Martha die Abschiedshand, sie reichte sie und spürte dabei mächtig ein Jucken in der Hand, über das sie seit Wochen schon oft geklagt hatte.
    Fränz war nun selbst damit einverstanden, daß man von der Gasttafel wegblieb, sie war ungewöhnlich viel still und sinnend; sie sang oft still vor sich hin, und unterbrach sich dann plötzlich, wenn sie dachte, in welcher Lage sie war. Die Mutter ermahnte sie nun selbst oft, zur Wirthin hinabzugehen, während sie einsam spann.
    Eines Tages kam Fränz athemlos in das Zimmer gestürzt.
    »Mutter,« schrie sie, »Mutter, er ist da!« »Wer? Um Gotteswillen der Vater?«

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