Schwarzwaelder Dorfgeschichten
Trudpert. Xaveri konnte thun was er wollte, der Bruder half ihm immer heraus, ja er nahm manche Uebelthat auf sich, nur daß Xaveri verschont wurde; denn dieser hatte es ihm wie mit einem Zauber angethan.
Eines Tages, es war im Winter – die alte Lachenbäuerin, von welcher der Spruch herrührt: »Ich glaub' nicht an Amerika,« war schon lange todt, und sie wäre jetzt auch anderer Ueberzeugung geworden – da war großes Halloh im Hause des Lachenbauern. Die Mutter hatte es nicht gestatten wollen, daß der Trudpert seinem jüngern Bruder Alles nachgebe und hatte Xaveri deßhalb geschlagen, bis sie müde war und der Knabe schrie jämmerlich und schnitt Gesichter, aber ohne zu weinen; da kam ein armer Mann, der nach Amerika auswandern wollte und bettelte um Dürrobst oder um etwas Leinenzeug für seine zahlreiche Familie. Im Zorn rief die Mutter:
»Da, nehmt den bösen Buben mit nach Amerika.«
»Ich geh' mit, gleich geh' ich mit,« rief Xaveri aufspringend, aber jetzt wälzte sich der Bruder auf dem Boden und schrie: »Mein Xaveri darf nicht fort, mein Xaveri muß dableiben.«
»Schenk' mir dein Sackmesser und deine Tauben,« unterhandelte Xaveri und der Bruder gab trotz der widersprechenden Mutter Alles und war glücklich als er den Xaveri um den Hals fassen und mit ihm nach dem Taubenschlage gehen konnte.
Von nun an hatte der Xaveri ein untrügliches Mittel, um von seinem Bruder Alles zu erlangen; willfahrte er ihm nicht alsbald, so drohte er: »Ich geh' nach Amerika!« und damit erlangte er allezeit was er wollte: denn dem Trudpert stand gleich das Wasser in den Augen, wenn er diese Drohung hörte.
Auch sonst im Dorfe brachten die Leute den Xaveri oft dazu, daß er seinen Spruch hersagte: »Ich geh' nach Amerika.« Da die Leute an dem Xaveri nichts erziehen konnten und wollten, machten sie sich den genehmern und weit anschlägigern Triumph, ihn auf allerlei Weise zu verhetzen: indem sie ihm oft vorhielten, wie gut es die Kinder in Amerika hätten, da brauche man gar nicht in die Schule zu gehen, und die Buben säßen den ganzen Tag zu Pferde und ritten in Wald und Feld umher und schon mit sechs Jahren bekäme ein Knabe eine Flinte, um Hirsche und Rehe zu schießen. Die Leute waren merkwürdig erfinderisch im Ausmalen von allerlei Ungebundenheit, und der Schreiner Jochem, der mit seiner Familie auswanderte, trieb seine Gemüthlichkeit so weit, daß er mit Xaveri ein Complot einging und ihm versprach, ihn heimlich mitzunehmen. Xaveri kam richtig mitten in der Nacht, in der Jochem mit seiner Familie davonziehen wollte, zu demselben, brachte in einem Packe seine Kleider und in einem Sacke einen ziemlichen Vorrath von Dürrobst. Der Jochem packte das letztere zu unterst in eine große Kiste, schickte aber heimlich nach der Mutter des Xaveri und ließ sie ihren Sohn sammt seinen Kleidern abholen. Das war der erste gewaltige Hohn und Betrug, den Xaveri in seinem Leben erfuhr, aber er verwand ihn bald wieder, zumal da die Mutter die ganze Sache und sogar den Raub am Dürrobst vor dem Vater vertuschte. Im Dorf aber war der Vorgang dennoch ruchbar geworden, man ließ es nicht daran fehlen, den Xaveri in aller Weise zu necken und er vergalt es durch noch übermüthigere Streiche.
In einer Kindesseele verschwinden leicht die Spuren der gewaltigsten Eindrücke; es hat sein Gutes weit mehr als sein Schlimmes, daß die jugendliche Spannkraft in ihrem freien Wachsthum beharrt. Wer aber weiß, was in der schlummernden Kindesseele fortwaltet? Wenn von brausender Locomotive ein brennender Funke in den offenen Kelch einer Blume fällt, vom Winde alsbald verweht und verlöscht wird, ihr seht keine Spur an dem offenen Kelche, aber an dem Boden, darin die Wurzel haftet, ruht die verlöschte Asche, fördernd oder verderbend.
Wenn der Xaveri nicht seinen Bruder damit neckte, dachte er nicht mehr an Amerika, und nur Einmal, als Kinder aus der Schule mit ihren Eltern auswanderten, trug er ihnen auf, dem »Schreiner Jochem drüben« Schimpf und Schande zu sagen; ja er schrieb einen Brief an ihn mit den heftigsten Drohungen, wenn er nicht den Sack, worin das Dürrobst war, wieder mit Gold gefüllt zurückschicke.
In seinem zwölften Jahre stand der Xaveri schon vor Gericht und wurde auf einen Tag eingesperrt. Im Dorfe war eine äußerst verhaßte Persönlichkeit, und zwar diejenige, die die öffentliche Ordnung überwachte. Der »Wullisepple,« so genannt, weil er ehemals Wolle gesponnen hatte, war Ortspolizeidiener geworden und
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