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Schwarzwaelder Dorfgeschichten

Titel: Schwarzwaelder Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berthold Auerbach
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darauf Geburt und Geschick ihn gestellt.
    Es wäre thöricht, die unabsehbare Befruchtung und den großen Alles, bewältigenden Zug der Menschheitsgeschichte in dem Auswanderungstriebe verkennen zu wollen. Das hindert aber nicht, ja fordert eher dazu auf, die Herzen derer zu erforschen, die, vom Einzelschicksale gedrängt in die Reihen der Völkerwanderung eintreten, deren weltgeschichtliche Sendung unermeßbar und den Einzelnen, die mitten im Zuge gehen, unerkennbar ist. Daneben ist es von besonderem Belang, zu beobachten, welche Wandlung solch ein Trieb, der die ganze Zeit ergriffen, im beschränkten Lebenskreise der Scheidenden und Verbleibenden hervorbringt.
    Der Statistiker stellt, manchmal mit Bedauern, die Summe Derer zusammen, die in diesem und diesem Jahre das Vaterland auf ewig verlassen; er ermißt, welche Arbeits- und Capitalkraft dadurch dem Vaterlande entzogen wurde; die innere sittliche Macht aber, die den Zurückbleibenden dadurch entzogen und anbrüchig geworden ist, läßt sich nicht in Zahlen fassen und nicht in die Linien der statistischen Tabellen eintragen. Wandert über Berg und Thal, und der Lastträger, der sich euch anschließt, stemmt seinen Stock unter die Last auf seinem Rücken, und ausschnaufend erzählt er euch, wie man in Amerika für seine harte Arbeit doch auch Etwas vor sich bringe und wie er gern dahinzöge, wenn er nur die Ueberfahrtskosten erobern könnte. Dort in jener Hütte wohnt ein altes Paar, einsam und verlassen; es hat seine Kinder, die Freude und Stütze seines Alters, über's Meer geschickt, damit es doch mindestens ihnen wohlergehe, und ist bereit, den Rest seiner Tage einsam und freudlos zu verbringen, wenn nicht die Kinder es zu sich rufen. In einem andern Hause klagt eine arme Verwandte ihre bittere Noth, und ein noch nicht fünfjähriger Bub' sagt: »Sei zufrieden Base, wenn ich groß bin, geh' ich nach Amerika und schicke dir einen Sack voll Geld.« Der Dienstbote spart sein Lohn zusammen, und stellt die Rahmenschuhe weg, die er zu Georgi und Michaeli bekommt und über alles zunächst Vorliegende hinaus schweift der Gedanke nach Amerika. Das ganze diesseitige Leben wird zu einem mühseligen unruhigen Samstag, hinter dem der lichte amerikanische Sonntag verheißungsvoll winkt. – Hatte jener Bauer Recht, der da sagte: »Wenn eine Brücke hinüberginge über's Meer, es bliebe kein einziger Mensch mehr da?«
    Tretet in die Hallen des öffentlichen Gerichts und der ewige Endreim heißt: nach Amerika. Der Brandstifter wollte mit den Versicherungsgeldern – nach Amerika, der Dieb mit dem Erlös seines Diebstahls – nach Amerika; die Kindsmörderin wollte mit ihrem Verführer – nach Amerika, und da er sie verließ, tödtete sie ihr Kind, um sich allein zu retten – nach Amerika, ja selbst der verurtheilte Verbrecher tröstet sich, daß er im Zuchthaus so viel erübrigen könne, um auszuwandern oder gar, daß man ihm die Hälfte seiner Strafzeit schenke und ihn fortschicke – nach Amerika.
    Aber nicht nur Verarmte, die sich nicht aufraffen und sich der Hoffnung hingeben, daß die Gemeinde oder der Staat sie endlich über's Meer sende, und nicht nur Verbrecher, die sich mit kecker Hand das Lösegeld aneignen, schauen aus nach Amerika; auch die Menschen, die sich wieder darein gefunden haben, muthig und rechtschaffen auf ihrer Stelle auszuharren, im Lande zu bleiben und sich redlich zu nähren, auch diese tragen oft zeitlebens die untilgbaren Folgen davon, daß sie einst eine andere Sehnsucht über sich kommen ließen. Nur starke Naturen oder solche denen nichts tief geht, überwinden die Unruhe und die Unstätigkeit, die auf lange nicht aus der Seele weichen will, welche einst den Gedanken der Auswanderung in sich gehegt hatte. –
    »Ich glaub' nicht an Amerika,« sagen nun aber auch ganz andere Leute, als die alte Lachenbäuerin.
    Die Strömung der Auswanderung hat sich auch schon gestaut und ist eine Zeit lang rückwärts gegangen. Viele in Verzweiflung heimgekehrte Auswanderer wissen gar Schauererregendes zu erzählen von der neuen Welt; denn getäuschte Hoffnung macht bitter, läßt das Gute an einer Sache leicht übersehen oder gar verläugnen, und wer von einem Unternehmen abgelassen hat, das er unter der gespannten Aufmerksamkeit Anderer mit großem Eifer versucht hat, der muß die Hindernisse als ungeheuerliche darstellen, um mit seiner Ehre desto besser dabei wegzukommen. Da wird die ehemalige blinde Lobpreisung jetzt zur blendenden Verleumdung. Freilich

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