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Schwarzwaelder Dorfgeschichten

Titel: Schwarzwaelder Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berthold Auerbach
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zu Schulden kommen lassen. Seb drängte die Besuchenden mit Höflichkeit hinaus und verschloß die Hausthüre, und jetzt wendete er sich mit erneutem Eifer an Zilge und betheuerte ihr, wie er ihr jede Minute ihres Lebens doppelt vergelten wolle für das große Leid, das er ihr angethan. Zilge lächelte freudig, faßte seine Hand und drückte sie, als er aber hinzusetzte: »So ist's recht, jede Minute, die wir noch jetzt von unserem schönen gesegneten Leben verlieren, ist eine Sünde an Gott,« da schrie sie laut auf und stieß ihn von sich, indem sie sagte:
    »So? Eine Sünde an Gott ist jede verlorene Minute? Wie viel Minuten hat sieben Jahr? Hol' die Tafel und rechne. Nein, nein, nein, du kannst gehen, wohin du willst. Sieben Jahre verlassen seyn ist ein Scheidegrund, ich will's auf mich nehmen, was du willst, wie du willst, sag' mir nur nichts mehr von deinem Geld –«
    »Und unsere Kinder?« sagte Seb bebend.
    »Ihnen zulieb möcht' ich schon, aber ich kann nicht, Gott ist mein Zeug', ich kann nicht;« sie schlug sich wie betheuernd mehrmals auf die Brust, dann sagte sie dumpf:
    »Wart nur noch eine Weile, dann holt mich der Tod, dann hast Alles allein, Alles, ich will nichts davon, gar nichts, man soll mich mit meinen Lumpen zudecken.« –
    Seb legte den Kopf weinend auf den Tisch, Zilge stand auf und fuhr ihm mit der Hand über die Haare, dann sank sie plötzlich nieder. Seb trug sie in seinen Armen auf das Bett, dann eilte er hinaus und schickte einen reitenden Boten nach dem Arzte.
    Als es zum Erstenmal zur Kirche läutete, richtete Zilge sich auf und sagte:
    »Nimm das Gesangbuch, nimm's, was zitterst? Sind dir meine Thränen drin zu schwer? Lies, sing's ganz durch, von Anfang bis End, mein Leid und mein Weh steht nicht drin, das hat Keiner gewußt, das hat kein Schriftgelehrter, kein Heiliger und kein Kirchenvater erlebt.«
    Seb saß auf einem Schemel zu Füßen seiner Frau, die die Augen schloß und, wie es schien, ruhig schlummerte. Die Glocken läuteten zur Morgenkirche, und Seb bedeckte sich sein Antlitz mit beiden Händen. Wie stolz triumphirend hatte er unter diesem Geläute an der Hand seiner Frau vor aller Welt wieder erscheinen wollen, wie hatte er gehofft, ihr Herz mit Jubel zu erfüllen, da er nun die Glücksgüter ihr in den Schooß legte, die ihrem seinen ehrliebenden Wesen gebührten. Und jetzt! Zorn und Ingrimm wollten in ihm aufsteigen, er hatte sich ja keine Ruhe und keinen Genuß gegönnt, nur um diese Höhe zu erreichen. Wie aber, wenn sie unterdeß gestorben, da sich ihr Herz ihm verfremdet und im Elend verkümmerte, so daß es nicht mehr fähig war, ein heiteres Glück und ihn in sich aufzunehmen? Wie muß Schmerz und Jammer in dieser Seele gewühlt haben, bis sie verwirrt und zerrüttet war! Seb fühlte sich auf einmal tief gedemüthigt. Er konnte jetzt ein Haus erbauen, wie keines im Dorfe war, aber läßt sich erstorbene Liebe wieder auferbauen? Seb wand sich hin und her und die Geldrollen in seiner Brusttasche schlugen von außen wie ein schwerer Hammer an sein klopfendes Herz. Leibhaftig fühlte er jetzt die ungeahnten Schläge, die ihm nun sein Reichthum brachte. Und mitten in aller schweren Kümmerniß überkam ihn doch wieder ein trostreicher Gedanke: wie mußte ihn diese Frau einst geliebt haben, und ihn allein, keinen Reichthum und keine Größe, sie fragte nichts danach, es schauderte sie davor, sie waren mit ihrem Herzblute erkauft. – Von dem Gedanken der unergründlichen Liebe seines Weibes bewegt, schnellte Seb empor und drückte einen Kuß auf die blasse, nur leichtgeröthete Wange der Schlafenden.
    Die Kinder kamen herbei; Seb kleidete sie wiederum festlich an, und selbst Johannes ließ ihn gern gewähren, dann stellte sich der Knabe zu Haupten des Bettes und betrachtete mehrmals die Mutter, meist aber stand er, das Kinn auf die Brust gesenkt, die Augen zum Vater aufrichtend und fest auf ihn schauend. Ein Kind kann mit einer Dauer und unbewegten Stetigkeit den Blick auf einen Gegenstand heften, wie das Auge eines Erwachsenen ohne zu blinzeln nicht vermöchte, und dieser starre Kindesblick gewinnt eine Durchdringlichkeit und Strenge, der keine Worte gleichkämen. Seb senkte oft den Blick, wenn er den dreinstarrenden Knaben ansah. Er brachte kein Wort aus ihm heraus, nur einmal sagte der Knabe von selbst: »Gelt, die Mutter wird nicht sterben?«
    Der Knabe hatte gehört, daß Seb einen reitenden Boten nach dem Arzte geschickt, und daher die eigentümliche Erweichung

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