Schwarzwaelder Dorfgeschichten
er verkümmert und kann einen Versuch machen, ob er neuen Boden gewinne.
Die Eisenbahn, die durch das Schwabenland gezogen wurde, beschäftigte alle Gemüther landauf und landab; man schalt darüber, man stritt hin und her und die Klügeren lachten ob der neuen Mode, die auch wieder aufhören würde, wie viele andere. Die Eisenbahn wurde vollendet, allerlei Fabelhaftes ward erzählt und es zeigte sich, daß sie einen guten Theil des Verkehrs auch der weit abgelegenen, durch Leutershofen führenden Landstraße entzog. Der Vorspann wurde geringer, aber Cyprian fand ein neues Mittel, er kaufte einen im Ort nie gesehenen Stellwagen und ließ ihn jede Woche zweimal regelmäßig nach der Hauptstadt gehen; er sicherte sich dadurch einen stetigen Verdienst und eine nicht unergiebige Einkehr in seinem Wirthshause; aber kaum ein Jahr war vorüber, als neues Mißgeschick sich an ihn herangrub. Die ganze neue Straßenbaukunst gewann durch die Erfahrungen bei der Eisenbahn eine veränderte Gestalt; hatte man ehemals die Straßen über Berge geführt, so scheute man jetzt einen Umweg nicht, wenn man nur die Straße möglichst eben legen konnte. Die neue Welt will im Trabe fahren und nicht mühselig über Berge kriechen. Die Jahrhunderte alte Heerstraße wurde brach und eine neue im Thale gelegt und durch Dämme geschützt. Ganz Leutershofen, besonders aber der Sonnenwirth, empfand die unausweichliche Brache, und doch mußte man noch Alles in Stand halten, um plötzlich aufzuhören. An den Tagen des Kornmarktes äußerte sich die neue Gestaltung der Verhältnisse besonders in hässigen Neckereien mit den Einwohnern von Bieringen, Isenburg u.s.w.; das waren Dörfer, die man ehemals gar nicht oder nur mit Spott über ihre Abgelegenheit genannt hatte, aber die neuen Weltmänner ließen es an überhebenden Anzüglichkeiten gegen die vormals stolzen Dörfer an der Landstraße nicht fehlen. Cyprian suchte aus seinem Mißgeschick den letzten Vortheil zu ziehen, er übernahm mehrere hundert Klafter Steinfuhren in Accord für den Straßenbau und rüstete dazu Knechte, Roß und Wagen; aber es scheint oft, als ob sich eine Tücke des Schicksals, wenn es sich einmal feindlich gestellt, in Allem erweise; Cyprian erlitt so viel Schaden an Pferden, Wagen und Geschirr, daß er sich einen namhaften Verlust zuzog. Nun dachte er daran, sein Anwesen zu verkaufen und sich im Thale anzusiedeln, aber es wollte sich für Beides kein sogenannter Schick finden. Endlich wollte er wieder ganz Bauer werden und ging mit Eifer in's Feld, aber er war, wie er sonst oft neckend eingestanden hatte, »zu mast« geworden; bei der kleinsten Handthierung versetzte es ihm den Athem und rann ihm der Schweiß von der Stirne. Nun ließ er endlich Alles kommen wie es kommen mag.
Die Thalstraße war fertig und in dem Sonnenwirthshause mit den weiten, zur Aufnahme vieler Menschen hergerichteten Räumen war es doppelt öde. Das Sprüchwort sagt, daß man sich ob der leeren Krippe leicht zankt; das bewährte sich nun. Der Sonnenwirth hatte aber manchen Tröster im unterirdischen Dunkel, der ihm die Zeit kürzen und vergessen half. Stunden, ja Tage lang lag er im offenen Fenster, das rothe Taschentuch als Polster untergeschoben, und schaute träumend hinaus in's Freie, er hoffte, es müsse endlich ein schicklicher Käufer kommen, denn er hatte das Anwesen wiederholt in den Zeitungen ausgeboten, um es aus freier Hand zu verkaufen. Was er dann beginnen wollte, das überließ er der Zukunft. Wie öde und leer war jetzt der große freie Platz vor dem Hause! Man hörte nichts als das Plätschern des allzeit rinnenden großen Röhrbrunnens, die fliegenden Krippen, ehedem den Fuhrleuten zur schnellen Fütterung bereit, lagen wie müde und mancher Beine beraubt bei zerbrochenen Flaschen in einem Winkel, und das ganze Dorf war still, am hellen Tag wie eingeschlafen. Jetzt gab es keinen Kornmarkt mehr, jetzt bekam man nicht mehr täglich frisches Brod, kein Posthorn schallte mehr unter jauchzenden und springenden Kindern durch die Gassen.
Cyprian sah dem Zerfall des ganzen Hauswesens mit einer Gleichgültigkeit entgegen, wie sie Uebertäubung und das dämmernde Bewußtsein des unabänderlichen Einsturzes so oft erzeugt. Die Frau, von je her leichtfertigen Sinnes, machte sich von den guten Tagen noch zu Nutze, so viel man vermochte, und da Schelten und Zanken mit ihrem Manne nichts half, wollte sie noch mit genießen, solange sich Etwas vorfand; von Fässern und Bütten waren die Reifen
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