Schwarzwaldau
Schwarzwaldau ohne Zeugen zu sprechen, mußten mißlingen, weil ich gerade in diesen Tagen stets mit meinem Gemal beisammen war. Das fürchterliche Wetter kam dazu. Ein regnerischer November vermöchte den heitersten Menschen mit Lebensüberdruß zu erfüllen; wie vielmehr einen vielleicht Schuldbewußten, vielleicht Verfolgten, der den letzten Zufluchtsort, auf den er noch hoffen durfte sich verschlossen sieht?«
Der Richter küßte Carolinen die Hand: »Schade, daß unser medicinischer Criminal-Psychologe nicht mehr zugegen ist; er sollte eingestehen, um wie viel sicherer die gnädige Frau urtheilt, um wie viel praktischer, als er. Doch ich will mir aus dem so eben Gesagten auch eine Lehre ziehen und alle zweckdienlichen Anstalten treffen, wo möglich in Erfahrung zu bringen, ob und wo der Verstorbene in der Nachbarschaft gesehen worden? Vielleicht hat er da oder dort Aeußerungen gethan, die auf einen verzweifelten Entschluß hinweisen?«
Der brave Mann ging ohne Säumen an dieß Geschäft. Carolinens Auseinandersetzung hatte ihn vollkommen in seiner vorgefaßten Meinung bestärkt.
Eine gänzlich entgegengesetzte Wirkung hatte sie in Emil hervorgebracht. Schon daß seine Frau ihm verschwiegen, – was sie doch längst entdeckt haben mußte, – daß eine ungeschickte, fremde Hand das Schloß ihres Secretairs verdorben, schien ihm bedenklich. In ihrer vor dem Richter gehaltenen Rede aber fand er eine so erzwungene, von ihrer gewöhnlichen Art und Weise so verschiedene Absichtlichkeit, daß er nicht länger zweifelte: sie durchschaue die Wahrheit, halte ihn für Franzens Mörder und wolle durch ihr Zeugniß schon von vornhinein das entscheidende ›Alibi‹ festgestellt haben, wofern etwa noch ein Zweifel gegen ihn sich erheben könne. Er hatte also in ihr eine Vertraute, ohne sich durch eigenes Geständniß ihr überantwortet zu haben! Ihr Benehmen zeigte, daß sie ihn gerettet, ihn sich erhalten wissen wolle! Sie entschuldigte also die That, wozu er gleichsam gedrungen worden? Ihre Leidenschaft für ihn war mächtiger, als der Abscheu, den man vor Mördern hegt? Dafür aber war er nun auch ihr Knecht, ihr Eigenthum, ihr Leibeigener, kein Mensch mehr, – eine Sache! – Eine Sache, die sie sich durch Großmuth zum Zweitenmale erkauft! – Er vermied bei ihr allein zu bleiben. Mit dem Richter zugleich verließ er den Saal. Jener ging an den Schreibtisch; er warf sich auf's Pferd.
Erst gegen Abend trafen sie beim Essen wieder zusammen. Der Richter war besonders gut aufgelegt. Seine durch Carolinens Aeußerungen veranlaßte Thätigkeit hatte gleich auf der Stelle günstigen Erfolg gehabt: Der Actuarius hatte den Platz ausgekundschaftet, wo Franz eine Nacht und einen Tag vor seinem Tode zugebracht. Es war eine Krämersfrau im Marktflecken, eine Meile von Schwarzwaldau, die ihn daselbst aufgenommen, obgleich er ihr selbst gestanden, daß er auf der Flucht sei und durch verheimlichte Anwesenheit Gefahr bringe?
Wir kennen sie als Lisette, unter welchem Namen sie bei Agnesen Kammermädchen und zuletzt Franzens Geliebte gewesen. Als dieser, seinem Herrn auf die weite Reise folgend, Schwarzwaldau und sie verlassen, hatte sie keinen Dienst mehr gefunden, vielmehr keinen gesucht, weil ihr der Scheidende sammt seinem Trostspruche: ›es wächst Gras über Alles!‹ ein Andenken hinterlassen, wodurch sie außer Stand gesetzt wurde, als Kammerjungfer einzutreten. Der alte Krämer im Marktflecken, zum Zweitenmale Witwer, bedurfte einer dritten Frau. Von Lisettens Gesprächigkeit und den ›vornehmen Ausdrücken, die sie im Schlosse aufgelesen‹ hatte er sich günstige Wirkung für seinen Kramladen versprochen; auf die kleine lebendige Zugabe hatte er nicht geachtet; er bot ihr seine Hand; sie, jeder anderen Aussicht entbehrend, griff zu. Sie nun hatte, ohne des alten Mannes Vorwissen, den jungen Vater ihres Kindes bei sich versteckt gehalten. Und sie gab zu Protocolle: ›Franz wäre in der Desperation gewesen und entschlossen, seinem Leben ein Ende zu machen, auf demselben Flecke , wo er dieß schon vor mehreren Jahren beabsichtigte und nur durch die närrische Liebe zur gnädigen Frau zurückgehalten wurde!‹
Als der Richter diese Aussage triumphirend wiederholte, mit dem Bedauern, daß sein Freund, der psychologische Arzt, nicht zugegen sei, zeigte Caroline aufrichtige Theilnahme und es entschlüpften ihr, die nur von Emil aufgefangenen, vom Dritten überhörten Worte. »so war vielleicht Alles nur ein entsetzlicher
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