Schwarzwaldau
lernte man zuletzt nicht, sich in Alles zu finden; sogar in die Ansichten Derjenigen, die ihre Lust an der Natur einzig und allein nach der Höhe des Fußmaßes über dem Meeresspiegel und an der größeren oder kleineren Summe jener in graue Ferne verschwimmenden Kuppen abzählen, welche ihr Tubus ihnen vor's Auge zaubert. Solche werden wahrscheinlich vornehm lächeln, wenn ich erzähle, wie Agnes und Caroline unerschöpfliches Vergnügen aufsuchten und genossen in den nächsten Umgebungen von Schwarzwaldau. Die erste Ausfahrt war ihre letzte gewesen; sie zogen vor, Arm in Arm durch den Park in's freie Feld und in den Wald zu wandern, ohne andere Begleitung; wonach Agnes von ihrem sogenannten Lieblingsbänkchen am kleinen See im Garten sich oft gesehnt, was sie aber, allein, nie gewagt hatte. Ihr ganzes Wesen war auch nach zweijähriger Ehe noch so jungfräulich-mädchenhaft geblieben und der feste Kern ihres edlen, starken Herzens schien von so zarter Form umhüllt, was äußerliches Gebahren betraf, daß eine resolute Freundin von Carolinens Art dazu gehörte, sie aus der halbklösterlichen Abgeschiedenheit heraus zu locken. Die Beiden ergänzten sich gewissermaßen. Carolinens weibliche Selbstständigkeit brachte Leben und Lebensfülle mit; Agnesens zarter Sinn verlieh Maß und Anmuth. Nur hätte, wer sie miteinander als Fremder gesehen, schwören müssen: Die Ehefrau sei das Mädchen und die Jungfrau sei des Gutsherrn Gattin; so fest und sicher trat diese auf; so abhängig von ihr bewegte sich Agnes neben ihr, wie eine jüngere unvermälte Schwester. Dieß Verhältniß, und es hatte sich gleich in den ersten Tagen ihres Zusammenlebens ausgebildet, beruhte nicht allein auf dem Unterschiede ihrer Persönlichkeiten; es wurde auch begründet durch den vertraulichen Austausch aller innersten Geheimnisse, welcher zwischen ihnen Statt gefunden und in welchem sich Agnes dem forschenden Blick der Freundin auf Gnade und Ungnade hingegeben. Caroline kannte nun und erkannte bis auf den Grund die verborgensten Wurzeln, aus denen der Freundin Wohl und Weh keimte. Und das verlieh ihr ein entschiedenes Uebergewicht, mochte sie es auch nur in Liebe und Zuneigung geltend machen. Je lebhafter sie diese kund gab, um desto kälter zeigte sie sich gegen Emil. Was Wunder, wenn dieser argwöhnte, seine Gemalin habe schwere Klage wider ihn geführt? sich in diesem Argwohn von ihnen abwendete? und mehr als je seine eigene Wege ging? Die Hoffnung auf trauliches Zusammensein war mit dem ersten Abend erloschen. Franz der Jäger hielt sich wieder so zurückgezogen, als er vor dem ausführlichen Geständnisse gethan. Kein Blick, keine Miene verrieth, daß er nur einen Anschein von Berechtigung, seinem Herrn näher zu stehen, in Anspruch nehme; womit dieser sich für's Erste zufrieden stellte; Alles sorglich vermied, was Funken aus der Asche zu wecken drohte; dabei jedoch übersah, oder übersehen wollte, daß es minder entsagende Ergebenheit, daß es vielmehr übelwollende, lauernde Verstellung sei, die um des Dieners Augen spielte.
An Selbstmord dachten wohl Beide nicht mehr, obgleich von allen Antrieben dazu keiner beseitiget war. Man will behaupten, und vielerlei Erfahrungen bestätigen es, daß die meisten Menschen, sobald sie einmal ihre bebende Hand auf das Riegelschloß der eisernen Pforte, die in's unerforschliche Dunkel der Ewigkeit führt, gelegt haben, ohne zu öffnen, (entweder weil die Entschlossenheit für den letzten Druck fehlte, oder weil sie gestört wurden,) ein zweites Mal sich gar nicht zu nähern wagen und lieber die beschwerlichsten Nebenpfade aufsuchen. Consequente Ausnahmen giebt es freilich auch. Doch zu diesen gehörten weder Emil, noch sein Diener; aus verschiedenen Gründen Beide. Und auf eben so verschiedene Art suchten Beide Trost, oder Ruhe. Franz vermied, wie er irgend mit seinem Dienste vereinbaren konnte, sich aus dem Schlosse und dessen nächsten Umgebungen zu entfernen; zog sich, noch mehr als früher, von allen Menschen zurück; er trug seine Liebe und seinen Groll weder zur Schau, noch wähnte er, durch planloses Umherstreifen sich Erleichterung zu erjagen. Was in ihm kämpfte und arbeitete, machte er in seinem öden Jägerzimmer mit sich allein ab, ohne Beihilfe von Außen, ohne Zerstreuung zu wünschen. Dieser jedoch fühlte sich Emil um so bedürftiger. Was er bei Agnes und Carolinen, nach der zwischen ihm und Jenen eingetretenen Verstimmung nicht zu finden hoffte, suchte er im Nebel der
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