Schwedenbitter: Ein Hamburg-Krimi (Droemer) (German Edition)
fängt an, sich eine Zigarette zu drehen. Dabei sieht sie mich von der Seite an.
»Frau Riley?«
Ich nicke. »Und Sie?«
»Die Mama von Moses«, sagt sie und grinst. »So ist das auf Spielplätzen. Da ist man nur noch die Mama von …«
»Haben Sie ja schlau eingefädelt«, sage ich.
»Ich weiß«, sagt sie und zündet sich ihre Zigarette an.
Ich genehmige mir auch eine.
»Klatsche sagt, Sie würden gerne eine Information loswerden.«
Sie zieht an ihrer Zigarette und beobachtet ihren schlafenden Sohn in der Schaukel.
»Keiner von uns«, sagt sie, »hat was mit dem Mord an den beiden alten Amis zu tun. Keiner, das schwöre ich.«
»Wer dann?«
»Sagt Ihnen der Name Hieronymus Schlindwein was?«, fragt sie.
Irgendwas klingelt bei dem Namen in meinem Kopf, aber ich weiß nicht, wo.
»Helfen Sie mir mal«, sage ich.
»Schlindwein ist der Architekt, der vor ein paar Jahren die Flora gekauft hat«, sagt sie.
»Ach ja«, sage ich. »Der lässt euch aber doch komplett in Ruhe, oder?«
»Er lässt uns in Ruhe«, sagt sie. »Trauen kann man ihm trotzdem nicht.«
Das ist aber noch lange kein Grund, jemanden anzuschwärzen.
»Glauben Sie, Schlindwein hat was mit dem Mord an den Tuckers zu tun?«, frage ich und huste ein bisschen in meinen Mantelärmel.
»Nein«, sagt sie. »Aber ich weiß, dass er das Haus in Wilhelmsburg kaufen wollte. Und dass er’s nicht gekriegt hat.«
»Woher wissen Sie das?«
Sie zieht die Augenbrauen hoch und zuckt mit den Achseln.
Moses wacht auf und fängt an zu weinen.
»Ich muss dann mal wieder«, sagt sie, geht zur Schaukel, holt ihren Sohn da raus und verschwindet hinter ein paar Büschen auf dem Weg, der zum Seiteneingang der Flora führt. Die Flora, dieses bunte, alte Gebröck. Der Haupteingang ist schon lange nicht mehr zu gebrauchen. Ich glaube, der ist so was Ähnliches wie zugemauert. Davor, auf der schmutzigen Showtreppe, ist eine Art innerstädtischer, kostenloser Campingplatz – da kann man sich einfach hinlegen und schlafen. Am besten geht das natürlich, wenn man ordentlich einen im Kahn hat. Ich weiß nicht, wie oft ich schon ein Stückchen entfernt von der Flora stand und mir den Schlafplatz vor dem Portal angeschaut habe. Es fällt mir einfach schwer, nicht hinzuschauen, wenn ich da vorbeigehe, und ich gehe da schon häufiger vorbei. Die hängen da dann immer in Vierer- oder Fünfergrüppchen rum, mal ein paar Leute mehr, mal ein paar Leute weniger. Sie sitzen und liegen und stehen auf der Treppe, und wenn sie nicht schlafen, diskutieren oder schimpfen sie. Und auch, wenn die Flora so ein buntes Tier ist, diese paar Meter auf ihrer Fronttreppe erscheinen mir unendlich grau. Die Flora-Camper haben im Laufe der Jahre offensichtlich all ihre Farbe eingebüßt. Oder sie haben sie einfach an die Flora abgegeben, weil sie selbst keine Farbe mehr brauchen. Manchmal wird da auch getanzt, dann schlingert einer so im Harald-Juhnke-Gang die Stufen runter. Aber nur ein kleines Stück. Nie ganz bis zur Straße. Als würde auf der Straße irgendwas lauern, vor dem sie sich auf der Treppe schützen wollen. Ich tippe auf die anderen Menschen
Hieronymus Schlindwein. Das ist einer von diesen Typen, von denen jeder Hamburger schon mal was gehört hat, aber so richtig weiß irgendwie keiner was. Architekt. Kauft alte Gebäude. Ich hab, glaub ich, mal gehört, dass er dafür kämpft, dass hier weniger abgerissen wird. Bin mir aber nicht sicher. Hm.
Ich bleibe noch ein bisschen auf der Schaukel sitzen und kucke mir die Kinder an.
Die beiden Jungs an der Rutsche haben ihre Klopperei beendet. Der eine sitzt im Sand und blutet aus der Nase. Der andere steht oben auf der Leiter und lacht. Da steht der mit der blutigen Nase auf und geht zu dem Mädchen, das drei Meter weiter immer noch Engelabdrücke in den Sand rudert, sie ist schon bei der dritten Figur. Er stellt sich dicht neben sie, sagt irgendwas, und dann tritt er ihr mit voller Kraft in die Seite.
Es ist, wie es ist: Die Kinder von heute sind die Arschlöcher von morgen.
*
Das ist doch wirklich ein Kaff hier. Da kann man seinen Krempel einfach auf die Straße stellen, während man renoviert, und nichts kommt weg.
Ich kämpfe mich durch eine Armee von kaputten Bier- und Schnapsflaschen: alle auf dem Hans-Albers-Platz zerschellt. Am Ende des Platzes, hinten links, direkt vor der Blauen Nacht, stehen Stühle, Tische, Barhocker und Eckbänke in der Dämmerung. Aus dem Laden kommt eine gigantische Staubwolke. Auf der ranzigen
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