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Schwedenbitter: Ein Hamburg-Krimi (Droemer) (German Edition)

Schwedenbitter: Ein Hamburg-Krimi (Droemer) (German Edition)

Titel: Schwedenbitter: Ein Hamburg-Krimi (Droemer) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Buchholz
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sind sehr freundlich, ich würde ihnen gerne Trinkgeld geben, komme aber nicht dazu.
    »Lassen Sie uns nach oben gehen, wir trinken noch was.«
    Hieronymus Schlindwein führt mich die Treppen wieder hoch, er zeigt unsere Karten vor, dann noch mal ein Stockwerk nach oben, und jetzt fühle ich mich endgültig wie abgeführt.
    »Sie sehen nicht aus wie jemand, der Sekt trinkt«, sagt er, als er uns an einer runden Bar bremst und wir zum Stehen kommen.
    »Richtig«, sage ich.
    »Bier?«
    »Ein Wodka Tonic wäre schön.«
    Es ist das erste Mal, seit wir hier sind, dass es blitzt. Vorher hatte er wohl zu viel zu tun. Man kann das Kristallgeblitze in ihm also abstellen, wenn andere Funktionen wichtiger sind. Interessant. Sah am Anfang gar nicht so aus.
    Er bestellt einen Wodka-Longdrink für mich und ein Glas Rotwein für sich.
    »Kommen Sie, bitte.«
    Er geht mit den Getränken in der Hand ans Fenster, ich hinterher, obwohl ich so was ungern tue, jemandem nachlaufen, aber was soll ich machen.
    Die Fenster des Hauptfoyers reichen bis zum Boden. Draußen glänzt das saubere innenstädtische Kopfsteinpflaster wie poliert. Der typische Hamburger Glasklotz neben der typischen Hamburger Großbaustelle glänzt auch. Über uns prangen üppige Kronleuchter aus den späten fünfziger Jahren. Tauchen das gesamte Gebäude in ein dunkelgoldenes Licht. So langsam stellt sich mein James-Bond-Gefühl von heute Morgen wieder ein. Fuck, bin ich urban.
    Als es schon zum zweiten Mal klingelt, gehen wir auf unsere Plätze. Seit wir am Fenster standen, hat Hieronymus Schlindwein kein Wort mehr gesagt. Es war, als versuchte er, sich zu konzentrieren.
    *
    Es geht um ein paar Künstler in Paris. Das sind arme Jungs ohne Geld und Besitz. Ein Musiker, ein Dichter, ein Maler und ein Philosoph. Zwei davon hocken kurz vor Weihnachten frierend in ihrer ungeheizten Bude, der eine versucht zu schreiben, der andere malt. Im Dachgeschoss wohnt ein Mädchen. Das Mädchen ist krank, sie hustet Blut, muss wohl Tuberkulose sein. Was man halt so hat in der romantischen Oper des 19. Jahrhunderts. Das Mädchen verliebt sich in den Dichter, und offensichtlich ist es eine große Liebe.
    Je länger der Winter dauert, desto ärmer werden die Künstler. Es geht allen ziemlich dreckig. Und das Mädchen wird immer schlimmer krank, am Ende stirbt sie, obwohl einer der Künstler schnell noch seinen einzigen Mantel versetzt, um Medikamente und einen Arzt bezahlen zu können.
    Es gibt eine Melodie in dieser Oper, die ist ein Wahnsinn. Jedes Mal, wenn die erklingt, laufen mir die Tränen runter, und die Melodie erklingt eigentlich dauernd.
    Und dann sieht auch noch das Bühnenbild aus, als wäre es ein alter Teil von Sankt Pauli, ganz kurz bevor die Abrissbagger kommen und teure Neubauten hingestellt werden.
    Ich werde das Gefühl nicht los, dass es einen Grund gibt, warum ich ausgerechnet diese Oper sehe. Und dass mich hier irgendjemand weichklopfen will.
    *
    In der Pause hab ich versucht, mich möglichst im Dunklen zu positionieren. Ich dachte, es wäre peinlich, wenn mein Informant sieht, dass ich geheult habe.
    Er hat es gesehen, und es war nicht peinlich. Denn er hat auch geheult.
    Er hat gesagt: »Eine Oper, die keine Tränen mobilisiert, ist eine Scheißoper.«
    Und er hat gesagt: »Der Verkauf dieses Hauses in der Dratelnstraße war nicht in Ordnung. Da hat was richtig gestunken. So.«
    Er hatte sich eindringlich um das Objekt bemüht, er wollte da ein Zimmertheater aus Altona unterbringen, dessen Mietvertrag ausläuft. Er hatte dem Eigentümer, der Stadt Hamburg, ein Konzept dafür vorgelegt, und auch ein zackiges finanzielles Angebot. Er hätte ordentlich Geld dafür lockergemacht. Er hatte aber von Anfang an das Gefühl, dass der Deal schon gelaufen war. Und zwar mal wieder mit ToftingInvest, so wie viele Immobilienverkäufe der letzten Monate.
    »Die pflügen hier die Stadt um«, hat er gesagt. »Das passt mir nicht. Die walzen alte Strukturen platt, lassen aber nichts Neues entstehen außer Geld. Das sind Seelenfresser.«
    Seelenfresser. Ich bin nicht dahintergekommen, wo genau die Seele von Hieronymus Schlindwein sitzt, aber irgendwo hinter dem ewigen Augengeblitze gibt es eine, so viel ist sicher. Architekten setzen sich normalerweise nicht so für alte Gebäude ein. Wenn ein Architekt so was tut, ist er ein eher besonderer Architekt.
    Er hat mir auch zum Abschied nicht die Hand gegeben, er hat mich wieder nur abgeführt, diesmal zum Taxi. Dann hat es noch ein

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