Schwedenbitter: Ein Hamburg-Krimi (Droemer) (German Edition)
öffentlicher Park eine deprimierende Angelegenheit. Die Enten sind weg, irgendwo im Winterquartier. Das Wasser ist teilweise abgelassen. In den Becken steht nur noch ein bisschen Schlamm. Bäume sehen ja im Herbst sowieso schon traurig aus, aber ohne Wasser und Enten zu ihren Füßen sehen sie aus wie tot. Und dann auch noch das aufdringliche Gestreite an den Knastfenstern. Ich sehe zu, dass ich Land gewinne, und dann taucht am Horizont die Skyline von Sankt Pauli auf. Ja, wir haben neuerdings eine Skyline. Da ist ein Turm, in dem jede Menge Büros leer stehen. Und dann noch der Turm, in dem dieses durchgeknallt geschmacklose Hotel untergebracht ist.
Demnächst kommen noch mehr Türme dazu. Wir kriegen jetzt nämlich tanzende Türme auf Sankt Pauli. Zwei Hochhäuser, die so heißen, weil es aussieht, als würden sie sich umarmen. Eine von diesen nutzlosen Kopfgeburten von Architekten, die Altbauten eklig finden. Nebenbei machen die tanzenden Türme aus einem echt hübschen parkartigen Grünstreifen, der direkt neben ihnen liegt, eine schlimme dunkle Ecke. Weil sie so groß sind und ihrer Umgebung alles Licht wegschlucken. So große Häuser stehen sonst auf Sankt Pauli nicht.
Neulich hat mir jemand erzählt, was Adolf Hitler mit Sankt Pauli vorgehabt hat, nach dem gewonnenen Krieg: plattmachen. Dann große, mächtige Bauten hinstellen, die zu nichts gut sind. Die einfach nur von der Größe ihres Erbauers künden. Vielleicht sollte man das mal den Leuten erzählen, die hier gerade bauen wie die Wilden. Vielleicht merken sie dann was. Tanzende Türme. So ein Schwachsinn. Niemand hier braucht tanzende Türme. Tanzende Türme, in die Büros und ein Hotel einziehen sollen. Wir haben auf Sankt Pauli schon jede Menge leerstehende Büros und jede Menge Hotels. Wir brauchen nicht noch mehr davon. Wir brauchen Wohnungen.
Ich zünde mir eine Zigarette an und denke mir, dass die Typen, die hier unbedingt tanzende Türme haben wollen, einfach mal drei Bier und vier Schnaps trinken sollten. Dann können sie sich die Türme ankucken, die wir schon haben. Irgendwann fangen die bestimmt an zu tanzen.
FLORA
M oin, Chef.«
Der Calabretta klingt zackig und wach.
Ich hab letzte Nacht viel gehustet. Ich dachte gestern Abend, wenn ich so viel Wodka Tonic wie möglich trinke, kann ich besser schlafen. Irgendwie ist mein Plan nicht aufgegangen.
»Wie spät ist es?«, frage ich.
»Kurz nach neun«, sagt der Calabretta. »Hab ich Sie geweckt?«
Ich eiere in die Küche, Kaffee machen.
»Was gibt’s denn?«, frage ich.
»Ich habe gerade mit dem Kollegen Kessler gesprochen«, sagt er. »Seine Leute haben in der Tucker-Wohnung nichts wirklich Aufregendes gefunden. Außer ein paar winzigen Hinweisen, die unsere Vermutung bestätigen. Zwar nicht einwandfrei bestätigen, aber sie, na ja, zumindest unterstützen.«
»Die Spuren zur Flora wurden gelegt«, sage ich.
»Ja …«, sagt der Calabretta, »… sieht schon danach aus.«
Ich schraube meine Espressokanne auf, lasse ein bisschen Wasser reinlaufen, schütte Kaffee in das kleine Sieb und jede Menge nebendran, schraube den Apparat zu, stelle ihn auf die Platte und mache den Herd an.
»Ich schicke die Kollegen Brückner und Schulle nach Wilhelmsburg«, sagt der Calabretta. »Die beziehen da ab jetzt rund um die Uhr Stellung und drehen jeden Stein um. Vielleicht erwischen sie doch noch einen aus der Obdachlosen-Gang, die im Tucker-Haus übernachtet hat. Wir brauchen einen Zeugen.«
»Die Ärmsten«, sage ich.
»Ach, die Jungs können ein bisschen Tristesse ganz gut ab«, sagt er, »keine Sorge.«
»Ich mach mir keine Sorgen«, sage ich. Ich bin nur ganz froh, dass ich meine Tage nicht in Wilhelmsburg verbringen muss.
»Wir sprechen uns«, sagt der Calabretta.
Ich trinke meinen Kaffee mit ein bisschen Milch und viel Zucker, gehe in die Dusche, huste den Putz von den Wänden meiner Wohnung und schleppe mich in die Staatsanwaltschaft.
*
Es ist ja merkwürdig. Wenn Klatsche anruft, fängt immer noch etwas in mir an zu flattern. Nur ganz leicht und nur sehr heimlich, aber es flattert. Dabei geht das jetzt doch schon so lange, dass er anruft. Wir kennen uns seit Jahren, und seit Jahren sind wir auch mal mehr und mal weniger so was Ähnliches wie ein Paar. Ich nenne es lieber: Verbündete.
Carla hat mich irgendwann im letzten Frühling gefragt, ob ich eigentlich in Klatsche verliebt bin. Ich hab gesagt, dass ich nicht der Typ bin, der verliebt ist.
Ich gehe
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