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Schweig still, mein Kind / Kriminalroman

Schweig still, mein Kind / Kriminalroman

Titel: Schweig still, mein Kind / Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Busch
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Polizei gesagt. Kommissar …«, sie suchte in der Ablage neben der Kasse nach seiner Visitenkarte, »Ehrlinspiel.«
    »Und was haben Sie ihm
nicht
gesagt?«
    Hannas Stimme klang wie kleine Wellen, so wie Sina sich das Meer vorstellte, wenn es sich weich am Ufer brach. Sie blickte in das offene Gesicht der Fremden. Außer dieser Frau hatte sie hier niemanden mehr zum Reden. Keinen, der ihr – oder dem umgekehrt sie – etwas bedeutete. »Elisabeth meinte, die Toten seien tot. Ich bin sauer geworden. Sie hat getan, als sei Felix …« Sina schluckte. »Sie hatte nicht das Recht dazu. Sie, die abgehauen ist, als ich sie wirklich gebraucht hätte, und dann, nach zehn Jahren und obendrein schwanger, hier aufkreuzt und meint, so hoppla hopp mein Leben umkrempeln zu müssen und mir zu erklären, wo es langgeht.«
    »Bestimmt wollte sie nur helfen, nicht Ihr Leben umkrempeln. Sie hat vielleicht gesehen, dass es Ihnen nicht gutgeht.« Brocks warmherziger Blick lag auf ihr. »Ich sehe es doch auch.«
    Sina konnte fast ihre Mutter hören.
    »Lissi sagte, ich solle hier weggehen. ›So wie du, ja?‹, habe ich geschrien. ›Soll ich auch alle im Stich lassen? Meine Freunde? Mein Kind?‹ Sie ist ganz besonnen geblieben, aber ich konnte mich nicht beruhigen. ›Weißt du überhaupt, wie es ist, ein Kind zu verlieren?‹ Sie hat nichts auf mein Brüllen geantwortet, außer, dass sie mich gemocht hat und das auch so bleibt, egal, was kommt.«
    »Das war alles?«
    Sina sah Hanna Brock an. Was würde die tun, wenn sie bald zu Hause war? Ohne Partner und ohne Arbeit? Was hätte Elisabeth getan, hätte sie zurück nach Berlin reisen können? Sina stellte sich vor, wie Lissi das kleine Bündel Mensch im Arm barg, es aus ihrer Brust trank und wie ihr Ehemann Alexander sie dabei liebkoste. Früher, als sie ihre Puppen gefüttert hatten, hatten sie sich ausgemalt, wie sie später nebeneinander auf dem Kirchplatz sitzen würden, mit echten Kinderwägen, und sich noch immer alles erzählten wie Schwestern.
    Phantome.
    »Lissi war so anders. Aber sie war nicht eingebildet geworden. ›Erzähle mir von dir‹, hat sie gebeten, ›du siehst so erschöpft und schmal aus‹, und sie klang ehrlich interessiert. Aber ich wollte, dass sie geht. Zum Abschied habe ich ihr an den Kopf geworfen, dass ich selber klarkomme. Mit meinem Vater, dem Tod meiner Mutter und«, sie umfasste mit einer Kopfbewegung den Raum, »diesem Pleiteladen.«
    »Kein schöner Abschied.«
    Sina stieß Luft aus. »Bevor sie ging, hat sie mich angesehen und gesagt: ›Ich komme wieder, Sina, ich möchte dir etwas erzählen. Morgen Abend. Bitte.‹ Ich habe nicht einmal tschüss gesagt. Wenn jetzt auch noch Renate … Und das alles wegen dem Rabenmann!«
    »Ehrlich, das verstehe ich nicht ganz. Um an den Rabenmann ernsthaft zu glauben, müsste der doch ab und zu echte Opfer holen. Und sowohl Elisabeth als auch Johannes sind eindeutig nicht von einem Geist getötet worden. Oder … sehen Sie das anders?«
    Sina zögerte. »Bei Felix … da … ach, ich weiß nicht, was ich glauben soll. Am Abend, an dem er geboren wurde und es angefangen hatte zu schneien, da sind alle zur Prozession gegangen.« Sie sah Hanna an. »Wissen Sie von dem Brauch?«
    »Kommissar Ehrlinspiel hat mir davon berichtet.«
    »Ich konnte nicht mit. Meine Sünden nicht tilgen.« Sina lachte auf, voller Bitterkeit. »Dabei hätte ich es am nötigsten gehabt. Sex mit fünfzehn, Mutter mit sechzehn.« Sie legte die Hände auf den Tresen. »Ich wollte mit Felix den Gang zur Schlucht nachholen. Bis dahin bin ich nicht von seiner Seite gewichen, habe gebetet, dem Rabenmann gelebt, bald den Schwur in der Schlucht zu sprechen.«
    »Sie haben wirklich geglaubt, der Rabenmann könnte Ihren Sohn stehlen?«
    Sina senkte ihren Blick auf die Rosen und versuchte nicht mehr, die Tränen zurückzuhalten. »Vielleicht hat er es ja getan.«
    Hanna kam zu ihr. »Ein Geist stiehlt keine Kinder.«
    »Sie kennen das Leben hier nicht.« Sina sah auf. »Viele im Dorf glauben an den Rabenmann. Meine Eltern haben die Geschichte von meinen Großeltern. Die haben sie von ihren Eltern. Und die …« Sie begann zu frösteln. »Die Sage ist uraltes Wissen. Und wo soll Felix sonst sein? Wer außer dem Rabenmann würde denn –«
    Hanna nahm Sina in den Arm. »Scht, scht.« Beruhigend strich sie ihr über den Rücken, und Sinas Zittern ließ nach. »Vielleicht«, hörte sie Hanna Brock wie aus weiter Ferne, »können Sie sich ja

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