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Schweig still, mein Kind / Kriminalroman

Schweig still, mein Kind / Kriminalroman

Titel: Schweig still, mein Kind / Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Busch
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hat ein schönes Gesicht.«
    »Er hat Angst vor Fremden.«
    »Warum?«
    »Er ist eben anders.« Sie wusch den Lappen aus, faltete ihn sorgfältig und hängte ihn über den Wasserhahn.
    »Verstehe.«
    Das Wasserrauschen im Bad verstummte.
    »Bruno ist ein sehr kluger Junge.«
    Gleich darauf trabte Bruno in gleichmäßigem Rhythmus und jetzt auf Socken wieder herein. Direkt vor Ehrlinspiel blieb er stehen und senkte seinen Blick auf dessen Schuhe.
    Was für dichte, lange Wimpern er hat, dachte er und streckte eine Hand aus. »Guten Tag, Bruno.«
    Bruno gab ein kurzes Wimmern von sich und wich zurück bis zur Wand. Die Arme presste er an den rauhen Putz. Ehrlinspiel trat ebenfalls zurück. Er wollte Bruno nicht noch mehr verunsichern.
    Frieda Sommer lächelte ihren Sohn an. »Bruno, das ist ein Mann von der Polizei. Er ist wegen deiner Schwester hier. Wegen Elisabeth.«
    Bruno blinzelte mehrmals hart hintereinander, als wolle er prüfen, ob seine Augenlider noch funktionierten. »Liss, liss, liss!«, rief er dann und warf die Arme in die Luft. Anders als sein Gebaren verriet sein Gesicht keinerlei Gemütsregung.
    »Ja, genau, wegen Liss ist er hier. Und jetzt iss erst einmal, du bist sicher hungrig.« Frieda Sommer nahm drei runde Brotscheiben aus dem Kühlschrank. Auf jeder lag eine große Käsescheibe, die bündig mit dem Brotrand abgeschnitten war. Die Rinde fehlte. In der Mitte jeder Scheibe lag ein Zweierrippchen Schokolade.
    Bruno stopfte im Stehen das erste Brot in sich hinein.
    »Kann er sich an Elisabeth erinnern?« Ehrlinspiels Blick wechselte zwischen Bruno und dessen Mutter.
    »Liss, liss«, schmatzte Bruno, warf das angebissene Brot zu Boden und verfiel augenblicklich in einen schnellen, monotonen Sprechgesang, zu dem er auf der Stelle hüpfte: »Ha zwei en, ce ha zwei, vier, en ha zwei.«
    »Bruno, Schluss damit!«
    »En ha zwei, ce ha zwei, fünf, en ha zwei.«
    »Hör auf!«
    Doch Bruno hörte nicht. Wie eine Aufziehpuppe hopste er von einem Bein auf das andere, sprang in die Luft, warf die Arme hoch und wiederholte die Silben in einer Endlosschleife. Die Welt um sich herum und all das Fremde, das ihn eben noch so sehr geängstigt hatte, schien er vollkommen vergessen zu haben.
    »En ha zwei, ce ha zwei, fünf, en ha zwei.«
    Endlich packte ihn seine Mutter kurz am Arm, und er sank zu Boden, als wäre die Feder einer mechanischen Puppe gebrochen. Dort kauerte er sich zusammen wie ein verängstigtes Tier.
    »Entschuldigen Sie, Herr Hauptkommissar«, sagte Hermann Sommer und versuchte ein Lächeln, »das wollte ich vorhin erklären. Bruno ist … behindert.«
    »Sie müssen sich nicht entschuldigen.« Täuschte Ehrlinspiel sich? Ihm war, als habe er die Formeln, die Bruno da von sich gegeben hatte, schon einmal gehört. Doch wo und in welchem Zusammenhang? Pflanzendünger, die Bruno gerade benutzt hatte und die auch Ehrlinspiels Mutter, die sich ihrem Garten mit Hingabe widmete, verwendete? Ein Schneckengift?
    »Bitte, finden Sie den Mörder!«
    Ein Gedanke, eben aufgeblitzt im Hinterkopf des Hauptkommissars, verglomm. »Ich werde alles dafür tun, das verspreche ich Ihnen.« Er legte eine Pause ein. »Da gibt es allerdings noch etwas …«
    Alle hoben den Kopf.
    »Elisabeths Baby …« Ehrlinspiel wünschte sich seinen Kollegen Paul Freitag herbei. Botschafter des Todes zu sein war eine der schwierigsten Aufgaben im Leben eines Polizisten. Zwar hatte er die Pflicht schon gestern recht gut gemeistert – doch da hatte ja bereits das halbe Dorf und auch die Familie von der Tragödie gewusst. Wenn aber das Opfer noch verstümmelt worden war, bedeutete dies einen zusätzlichen Schock für die Vertrauten, und ein besonderes Fingerspitzengefühl war gefragt.
    Freitag war gut darin. Seine Frau war Hospizhelferin, und so setzte auch er sich viel mit den Themen Sterben, Tod und Trauer auseinander. Er kannte die verschiedenen Reaktionen der Menschen – vom stummen Rückzug über vermeintliche Gleichgültigkeit oder sinnlose Beschäftigung bis hin zum herzzerreißenden Schrei. Und er konnte mit all diesen vielfältigen Ausprägungen des Schocks umgehen. Mit einer Sensibilität, die Ehrlinspiel nur bewundern konnte, erspürte Paul Freitag die Gedanken und Emotionen der Hinterbliebenen, wusste mit untrüglicher Sicherheit, was sie gerade brauchten und wann – umgekehrt – Beistand nicht angebracht war. Der Hauptkommissar hatte schon viel von seinem jüngeren Partner gelernt. Doch so feinfühlig wie der

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