Schweig still, mein Kind / Kriminalroman
»Vergessen Sie’s«, rief er zurück, »das hilft Elisabeth und Johannes jetzt auch nicht mehr.«
Margarete saß auf dem Sofa und lachte hysterisch, die Hände auf den Bauch gedrückt. Der grüne Schlafanzug bildete einen grotesken Kontrast zu ihrem rot angelaufenen Gesicht. Der Fleck unter ihrem Auge war jetzt violett. Auf dem Boden lag Erbrochenes, in dem zwei ihrer Hunde interessiert herumschnüffelten.
»Ich rufe Brandt«, flüsterte Polizeiobermeisterin Monika Evers dem Hauptkommissar zu und ging ins Nebenzimmer.
Ehrlinspiel verscheuchte die Hunde, nahm eine Decke und breitete sie über Margarete. Sie reagierte nicht, lachte einfach weiter. Der Geruch des Erbrochenen mischte sich mit Schweiß. Schnupfen hat auch seine guten Seiten, schoss es ihm durch den Kopf.
Er schüttelte sich und trat einen Schritt beiseite. Es würde schwierig werden, die Frau zu befragen. Sie stand unter Schock.
Evers kam zurück. »Er wird gleich hier sein. Er hat ihr heute Nacht schon etwas zum Schlafen gegeben.« Sie rümpfte die Nase und sah auf die Brocken am Boden. »Aber anscheinend hat sie’s nicht bei sich behalten.«
»Frau Beyer«, versuchte Ehrlinspiel, ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen. »Doktor Brandt wird sich um Sie kümmern. Wo ist denn Ihre Mutter? Sie sollte doch hier sein?«
Margarete kicherte.
»Haben Sie mich gehört?«
Evers setzte sich neben die junge Witwe und legte die Hand auf ihren Arm. »Wir wollen Ihnen helfen, Frau Beyer.«
Sie reagierte nicht.
»Wie geht es dem kleinen Kalb?«, fragte Ehrlinspiel. Manchmal linderte es den Schock, wenn man ein ganz banales Thema zur Sprache brachte.
»Welches Kalb?«, kicherte sie.
Ehrlinspiel und Evers sahen sich an.
»Ich kümmere mich drum«, sagte die Polizistin zu Ehrlinspiel.
Wie auf Kommando hörte Margarete auf zu lachen. Ihre Augen gingen zwischen Evers und Ehrlinspiel hin und her.
»Ich wollte das nicht!« Ihre Stimme klang, als hätte sich eine Sandwüste in ihrer Kehle ausgebreitet.
»Natürlich nicht«, sagte Evers sanft und warf Ehrlinspiel einen auffordernden Blick zu. Sie war stärker geschminkt als in den letzten Tagen.
»Was wollten Sie nicht?«, hakte der Kriminalhauptkommissar streng nach. Er hatte verstanden: Evers plante eine Guter-Cop-böser-Cop-Befragung. Nun, wenn Margarete dann redete, warum nicht? Dann spielte er gern den Bösen.
»Streiten«, stieß Margarete hervor.
Die Szene des Samstagmorgens jagte Ehrlinspiel durch den Kopf. Johannes mit dem Handy hinter dem Geräteschuppen. Hatte er eine Verabredung in die Wege geleitet? Mit seinem Mörder? Margaretes schrilles »Du kriegst den Hals wohl nie voll!«, ihr Mann, der zuschlug, und sein »Du hast keine Ahnung!«.
»Weshalb haben Sie gestritten?« Er zog ein Taschentuch hervor.
»Ich wollte nicht, dass er stirbt«, sagte sie leise.
»Nein.« Evers. »Ist Ihre Mutter noch da?«
»Sie schläft. Oben.«
»Haben Sie Ihren Mann getötet?« Ehrlinspiel schneuzte sich. Er stellte sich Margarete vor, den runden Bauch vor sich, in der Hand einen Stein, der immer wieder auf das große, quengelnde und doch unbeherrschte Kind niederfährt. Und Johannes, der nicht fassen kann, was ihm widerfährt. Nein. Das war grotesk. Und so, wie der Schafzüchter seine Frau angepackt hatte, hätte er sich gegen einen körperlichen Angriff mit Sicherheit gewehrt.
Margarete blieb stumm.
Die Polizeiobermeisterin sah sie an. »Manchmal, wenn ein Mann seine Frau schlecht behandelt, dann wünscht man ihm etwas Böses. Das war sicher bei Ihnen auch so, nicht wahr?«
»Jeden Tag. Immer wieder.« Sie wickelte eine Haarsträhne um den Zeigefinger und zog so fest daran, dass die Kopfhaut rot hervortrat. »Ich habe es mir ausgemalt«, fuhr sie fort, »wie es wäre. Ein Leben ohne ihn und seine Weibergeschichten.«
Das hast du ja jetzt, dachte Ehrlinspiel und kam auf die Auseinandersetzung zurück: »Sie haben am Samstagvormittag mit Ihrem Mann gestritten.«
Im Gegensatz zu Margarete glaubte er nicht, dass Johannes mit anderen Frauen etwas gehabt hatte. Wenn sie allerdings davon überzeugt war … Ehrlinspiel war hin- und hergerissen. Vielleicht doch …? Womöglich hatte die Eifersucht sie zu mehr getrieben als nur zu einem Mord in Gedanken?
»Er hat mich alleinegelassen.« Ihre Stimme klang jetzt hohl.
»Außerdem hat er Sie geschlagen«, bemerkte Ehrlinspiel streng. »Hat er das öfter getan?«
Apathisch schüttelte sie den Kopf. »Nur wenn er wütend war.«
Evers nickte. »Sie sind geschockt.
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