Schweig still, mein totes Herz (German Edition)
sie davon abhalten, jetzt, da er tot ist? Wenn sie es nicht schon längst getan haben.« Verflucht, sie hörte sich schon genau wie Hale an. Paranoid. Wahnhaft.
»Sie könnten Lena retten, hat er gesagt, Sie wären als Einzige dazu in der Lage.«
Großartig. Ein geständiger Mörder war ihr größter Fan. »Ich wüsste nicht einmal, wo ich mit der Suche anfangen sollte. Er wird Ihnen gegenüber doch sicher etwas genauere Angeben gemacht haben?«
»Er sagte, Lena sei nach Hause gefahren. In einen Ort namens Evergreen, eine Kleinstadt in den Bergen, in der Nähe von Cherokee.«
Evergreen. Dort hatte ihre Mutter all ihre Verwandten zurückgelassen, als sie Caitlyn weggebracht hatte, damit ihre Tochter Abstand zu den Erinnerungen an ihren Vater gewann. Gelungen war es ihr nicht, Caitlyn lief es immer noch kalt den Rücken hinunter, wenn sie den Namen Evergreen hörte. Sie war mit neun Jahren zum letzten Mal dort gewesen.
»Ja, ich kenne den Ort«, sagte sie zu Whitford.
»Eli sagte, alles was Sie bräuchten, sei in der Schachtel.«
Ein Haufen alter Zeichnungen und Notizhefte, genug, um sie eine ganze Woche zu beschäftigen – außerdem hatten Boone und seine Männer bereits alles durchgesehen. Was glaubte Hale, was das hier war, vielleicht der
Da Vinci Code
? Fünfundzwanzig Jahre hinter Gittern hatten den Mann wohl verrückt werden lassen. Caitlyn sollte sich auf die hoffnungslose Suche nach einem Mädchen machen, von dem sie nicht einmal mit Bestimmtheit wusste, ob es tatsächlich verschwunden war, und das alles wegen einer mysteriösen Verschwörung, die wahrscheinlich nur im Kopf eines überführten Mörders existierte?
Sie sah Hale vor sich, wie er mit seinem letzten Atemzug den Namen seiner Tochter gerufen hatte, erinnerte sich an die Angst in seinem Blick. Er hatte an Caitlyn geglaubt, darauf vertraut, dass sie Lena retten würde.
Aber Wunder konnte sie auch keine vollbringen. Allein hier zu sein verstieß bereits gegen jede Regel. Möglicherweise war Caitlyn sogar für Hales Tod verantwortlich, weil sie zu diesem Treffen gekommen war. Sein Gesichtsausdruck, als er im Sterben lag … das Gesicht ihres eigenen Vaters, blutverschmiert. Die Erinnerungen und der Schmerz drohten sie zu überwältigen.
Alles führte nach Evergreen zurück. Das hieß noch lange nicht, dass sie da mitspielen und den Brotkrumen folgen musste. Caitlyn zog kräftig am Schaltknüppel und legte den Rückwärtsgang ein. »Wenn Ihnen noch etwas einfallen sollte, rufen Sie mich an. Jederzeit, egal wann.«
»Was werden Sie wegen Lena unternehmen?«
»Ich kann ein paar Anrufe tätigen. Einige meiner Verwandten leben immer noch in Evergreen. Der Ort ist klein, falls Lena dort ist, wird es jemand mitbekommen haben.«
»Das ist alles? Ein paar Telefonate?«
»Da es sich nicht um einen offiziellen Fall handelt, sind mir mehr oder weniger die Hände gebunden. Außerdem fällt das gar nicht in meine Zuständigkeit.«
Sein Ärger war selbst durchs Telefon zu spüren. »Wo fahren Sie jetzt hin?«
»Nach Hause. Nach Quantico. Wo ich hingehöre.« Sie beendete das Gespräch, ebenso aufgebracht wie der Pastor, wenn auch aus anderen Gründen. Sie hatte alles in ihrer Macht Stehende getan – mehr noch. Verflucht, was wollte er von ihr?
Sie war dort gewesen, als ihr Vater starb, und hatte ihn nicht retten können. Hatte keine drei Meter von Eli Hale dagestanden und auch ihn nicht retten können. Wie kam irgendjemand auf die Idee, sie könnte Lena helfen?
10
Während sie über die East Gate 2 Road zurück zur Schnellstraße I85 fuhr, wurde Caitlyn klar, dass der Hunger und das fehlende Koffein nicht unwesentlich zu ihrer schlechten Stimmung beitrugen.
An diesem Tag lief anscheinend nichts so wie geplant. Vor ihrem geistigen Auge lief wieder und wieder die Szene von Hales Ermordung ab, mal schnell, mal wie in Zeitlupe; jedes Mal wurde sie erneut mit ihrer Hilflosigkeit konfrontiert.
Doch als Caitlyn mit Hales Hinterlassenschaft in der leeren Sitzecke eines Schnellrestaurants Platz nahm, wo sie Hühnchen und Klöße mit Kaffee und einem Glas Milch bestellte, war die Hilflosigkeit unbändigem Zorn gewichen.
Die Täter saßen zwar hinter Schloss und Riegel, nicht aber die eigentlichen Drahtzieher. Wenn es wahr sein sollte, was Whitford über Hales vermeintliche Überdosis berichtet hatte, dann waren an diesem ersten Mordversuch noch andere Gefangene im Butner beteiligt gewesen. Während Caitlyn auf ihre Bestellung wartete, schlürfte sie an
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