Schweig still, mein totes Herz (German Edition)
dem Rücken zu ihr im Bett, die Kluft zwischen ihnen glich einer entmilitarisierten Zone, nur ohne den Stacheldraht. Dass sie seine Bedingungen nicht akzeptiert hatte, hatte ihn sehr gekränkt. Und er hatte das als Aufhänger für eine Beziehungsdiskussion genommen. Daraufhin war sie im Bad verschwunden und hatte geduscht. Kein Wunder, dass er im Schlaf von ihr abgerückt war. Er wollte reden, sie wollte nichts wie weg. Typisch Caitlyn.
Dieses Mal hatte sie jedoch gute Gründe für ihr Verhalten. Sie lief nicht vor Paul davon, ihr blieb einfach nicht viel Zeit, um dieses Mädchen zu retten.
Sie glitt aus dem Bett, griff nach einem Vliesoberteil und der Überdecke, um sich warm zu halten, und machte es sich mit Elis Unterlagen in einem der Sessel gemütlich. Zumindest war das Fenster jetzt doch noch zu etwas gut. Wenn sie die Gardine einen Spaltbreit aufzog, musste sie kein Licht machen.
Sie hatte gehofft, dass irgendwo ihr Vater erwähnt wäre oder sie einen Hinweis darauf finden würde, weshalb »die« hinter Lena her waren – eventuell sogar darauf, nach was Lena eigentlich suchte. Aber da waren nur Zeichnungen, seitenweise. Bis auf das Adressbuch und einige wenige juristische Schriftstücke fand Caitlyn überhaupt nichts Geschriebenes. Nicht nur das, die meisten Zeichnungen waren auch noch Skizzen berühmter Bauwerke, bis auf diejenigen in einem kleineren Zeichenblock, die jeden noch so kleinen Winkel des Hauses darstellten, das Eli Hale für seine Familie gebaut hatte. Andere Bilder zeigten seine Familie, es gab sogar ein paar, auf denen Caitlyn beim Spielen mit Vonnie abgebildet war. Sie wusste nicht recht, was sie davon halten sollte, dass ein Mörder sie gezeichnet hatte, wie sie vor sechsundzwanzig Jahren ausgehen hatte, als noch keinem von ihnen beiden Blut an den Händen klebte. In einer schemenhaften Darstellung erkannte sie ihren Vater, wie er gerade die Angel auswarf – sie erschien wie eine Verlängerung seines durchgestreckten Körpers.
Gott, er wirkte so lebendig. Als könne ihn nichts aufhalten. Das Bild verschwamm vor ihren Augen und sie musste den Blick abwenden. Sie vermisste ihn einfach schrecklich. Heute noch genauso wie als neunjähriges Mädchen, das ohne ihren Helden, ohne ihren Daddy, verloren war.
Warum hatte Sean Tierney alles weggeworfen? Nur weil er überzeugt war, dass Eli Hale ihn verraten hatte? War das Grund genug, sie und ihre Mutter zurückzulassen, allem ein Ende zu setzen?
Vor Zorn verkrampften sich ihre Schultern, beinahe hätte sie die Zeichnung in Stücke gerissen. Unerträglich, dass es ausgerechnet Eli Hale gelungen war, das Wesen ihres Vaters einzufangen. Nein. Was sie nicht ertrug war, dass Eli Hale gelebt hatte und ihr Vater nicht, auch wenn Eli nun vor ihren Augen gestorben war.
Sie schloss kurz die Augen, kämpfte mit den Tränen. Sie wollte weinen über ihren Vater, über die Opfer ihrer Mutter … doch dann gab sie sich einen Ruck. Sie hatte einen Job zu erledigen. Sie musste Lena finden.
Die Worte von Sheriff Markle kamen ihr in den Sinn, dass Lena sich über Sean Tierneys Tod informiert hatte. Schon wieder ging es um ihren Vater. Aber dieser Weg führte nur in den Wahnsinn – außerdem hatte Lena die Berichte über ihren Vater noch gar nicht erhalten, sondern nur angefragt, ob sie sie einsehen könne. Eine Sackgasse.
Nachdem sie alles durchgesehen hatte, legte sie die Unterlagen wieder in die Schachtel zurück, nur den Zeichenblock schob sie in die Manteltasche. Wenn Eli Hales kryptische Aussage dem Gefängnisseelsorger gegenüber stimmte, dann barg seine Hinterlassenschaft alle Antworten darauf, wie sie Lena helfen konnte. Und sie war bloß zu müde, um sie als solche zu erkennen.
Es bestand immer noch die Möglichkeit, dass sie dem von einem paranoiden Häftling ersonnenen Phantom hinterherjagte. Was Caitlyn auch gerne geglaubt hätte, wenn sie nicht beinahe in eine Schießerei mit den Reapern verwickelt worden wäre, nur weil sie denen Lenas Foto gezeigt hatte.
Die Reaper. Konnten sie etwas mit dem sechsundzwanzig Jahre zurückliegenden Mord an Tommy Shadwick zu tun haben, und waren sie deswegen hinter Lena her? Was aber könnte eine kriminelle Rockerbande mit einem Stammesältesten der Cherokee und gleichzeitig mit dem Mann zu schaffen haben, der den Mord an ihm gestanden hatte?
Sie klappte ihren Laptop auf und sah sich die Archivberichte über Tommys Tod an. Die Brutalität der Tat sprach durchaus für eine kriminelle Bande. Aber wo war das
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