Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schweig um dein Leben

Schweig um dein Leben

Titel: Schweig um dein Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lois Duncan
Vom Netzwerk:
in mein Kissen weinte, bevor ich hörte, wie die Tür aufging. Einen Moment später spürte ich eine Hand auf meiner Schulter.
    »Geh weg!«, heulte ich. »Ich will mit niemandem reden!«
    Die Stimme, die antwortete, war nicht die, die ich erwartet hatte.
    »Das brauchst du auch nicht«, sagte Jim. »Du hast schon viel zu viel geredet. Es gibt noch einiges, was du lernen musst, wenn du erwachsen werden willst. Du bist ein nettes und kluges Mädchen, April, aber du bist mit einem völlig falschen Bild unserer Welt groß geworden. Das Leben ist nicht so wie in deinen Daily Soaps. Du musst endlich begreifen, dass die Geschichten im echten Leben nicht immer gut ausgehen, und anfangen, verantwortungsvoll zu handeln und zu denken, statt dich für den Star und den Rest von uns für Nebendarsteller zu halten.«
    »Das tue ich gar nicht!«, schluchzte ich und sah wütend zu ihm auf.
    »Dann denk mal bloß für eine Sekunde an deine Mom«, entgegnete Jim ungehalten. »Sie macht sich Sorgen um deinen Dad, sie macht sich Sorgen um euch und sie trinkt zu viel Wein. Sie hat im Moment wirklich keinen Kopf für dein kindisches Herumgezicke.«
    »Das ist kein kindisches Herumgezicke!« Es kostete mich einige Mühe, ihn nicht anzuschreien. »Aber wahrscheinlich kann sich so ein alter Knacker wie du gar nicht mehr daran erinnern, wie es ist, verliebt zu sein.«
    »Es reicht jetzt«, sagte Jim mühsam beherrscht. »Mein persönliches Leben spielt hier keine Rolle. Deines dagegen schon. Meine Aufgabe ist es, euch vor Gefahren zu beschützen, dazu gehört auch, hellhörig zu werden, wenn die Gefahr möglicherweise von einem meiner Schützlinge ausgeht. Und was ich gerade im Wohnzimmer von dir gehört habe, hat mir überhaupt nicht gefallen. Ich möchte, dass du mir hoch und heilig versprichst, deinen Freund nicht anzurufen, April.«
    »Ich müsste ihm doch nicht erzählen, wo wir sind. Ich will ihn nur wissen lassen, dass es mir gut geht, und ihm sagen, dass ich ihn vermisse.«
    »Auf keinen Fall«, sagte Jim ernst.
    »Aber damit verrate ich doch nichts!«
    »Es besteht immer das Risiko, dass dir etwas Unbedachtes herausrutscht.«
    »Und wenn schon? Steve würde es niemandem sagen. Oder glaubst du vielleicht, dass jedes Telefon im Bundesstaat Virginia angezapft wurde, einschließlich Steves Handy?«
    »Du wirst deinen Freund nicht anrufen«, wiederholte Jim bestimmt. »Und ich verlasse dieses Zimmer erst wieder, wenn du mir dein Wort darauf gegeben hast.«
    »Ja, schön, ich verspreche es. Zufrieden?«
    »Ich fürchte, dass ich dem Versprechen einer hysterischen Siebzehnjährigen nicht wirklich trauen sollte.«
    »Was willst du tun? Mich in den Schrank einsperren?«
    »Ich werde die Verantwortlichen der Hoteltelefonzentrale bitten, ausgehende Anrufe aus dieser Suite nicht durchzustellen«, sagte Jim und stand auf.
    Dann ging er aus dem Zimmer, schloss die Tür hinter sich und ließ mich allein mit meiner unglaublichen Wut. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals so außer mir gewesen zu sein. Jim hatte kein Recht, mich so zu behandeln! Dass er die von dieser Suite abgehenden Anrufe kontrollieren lassen wollte, empfand ich einfach nur als demütigend, und ich hatte nicht vor, mich einschüchtern zu lassen. Jim hatte mich gezwungen zu versprechen, Steve nicht anzurufen, aber er hatte nichts davon gesagt, dass ich nicht auf andere Art und Weise mit ihm in Kontakt treten durfte.
    Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr fühlte ich mich im Recht, bis ich irgendwann vom Bett aufsprang und zum Schreibtisch ging. Wie immer in den letzten Tagen hatte Mom den Vormittag mit Schreiben verbracht, und die mit ihrer ordentlichen Handschrift beschriebenen Hotelbriefbögen waren über die ganze Tischplatte verteilt. Ich nahm ein neues Blatt aus der Schublade und riss den Briefkopf ab. Dann setzte ich mich und begann zu schreiben.
    Lieber Steve,
    ein Lebenszeichen von deiner verschwundenen Rapunzel! Ich wünschte, ich wäre wirklich die Prinzessin aus dem Märchen und könnte meine Haare vierzehn Stockwerke tief fallen lassen, damit mein Prinz zu mir hinaufklettern kann. Es tut mir so leid, dass ich nicht mit dir auf den Schulball gehen konnte. Und jetzt habe ich auch noch erfahren, dass ich deine Abschlussfeier verpassen werde. Ich bin so enttäuscht und unglücklich, dass ich am liebsten sterben würde. Ich wünschte, ich könnte dir sagen, wo ich bin, aber ich darf nicht. Ich werde dir alles erklären, wenn ich wieder zu Hause bin. Bis dahin

Weitere Kostenlose Bücher