Schweig um dein Leben
auf Bram, der ausgestreckt auf dem Boden lag und wie ein Zombie mit halb geschlossenen Augen fernsah.
»Jim ist in die Mall gefahren«, sagte er.
»Ich weiß. Er will ein paar Spiele für uns besorgen.«
»Wenn wir doch bloß schwimmen gehen könnten«, seufzte Bram sehnsüchtig. Sein rundes Gesicht hellte sich auf, als ihm eine Idee kam. »Wenn Jim in die Mall fährt, wird er eine Weile weg sein. Es hat zu regnen angefangen, also ist gerade bestimmt niemand am Pool. Kein Mensch würde es mitkriegen, wenn ich …«
»Vergiss es«, unterbrach ich ihn streng. »Wir müssen uns an Jims Regeln halten.« Kaum waren die Worte draußen, kam ich mir vor wie eine Heuchlerin. Ich beschloss, Jim die Wahrheit zu sagen, wenn er wieder da war. Das Schlimmste, was mir passieren konnte, war eine weitere Strafpredigt. Ein kleines Opfer im Vergleich dazu, mein Gewissen zu erleichtern.
Weil ich nicht wusste, was ich bis zu seiner Rückkehr sonst tun sollte, ließ ich mich aufs Sofa fallen und schaute mir den Western an, zu dem Bram gerade umgeschaltet hatte. Während der nächsten halben Stunde saßen Bram und ich schweigend da, schauten zu, wie zwei Drittel der Figuren von einer Pockenepidemie dahingerafft wurden, und hörten den Schreien einer Frau zu, die unter widrigsten Umständen ein Kind auf die Welt brachte.
Das Neugeborene war gerade von Indianern gekidnappt worden, als ich ein Klopfen an der Tür hörte, gefolgt von einer Stimme, die »Zimmerservice« rief. Ich hievte mich aus dem Sofa, ging zur Tür und spähte durch den Spion. Im Flur stand ein Zimmermädchen neben einem Handwagen, auf dem sich Handtücher, Laken und Toilettenartikel stapelten.
»Das Zimmermädchen ist da!«, rief ich Mom zu, die im Schlafzimmer am Schreibtisch saß. »Soll ich ihr sagen, dass sie später noch einmal kommen soll, wenn Jim wieder hier ist?«
»Sie ist schon so spät dran, dass wir sie nicht bitten können zu warten«, sagte Mom. »Außerdem brauche ich dringend eine Dusche und wir haben keine sauberen Handtücher mehr.«
Also machte ich die Tür auf, wünschte mir jedoch sofort, ich hätte es nicht getan. Ich hatte eine Hand schon an der Sicherheitskette, um sie zu lösen, als mich das seltsame Gefühl überkam, dass irgendetwas nicht stimmte. Dabei wirkte die Frau alles andere als bedrohlich. Sie war groß und schlank, hatte blonde Haare und sehr dunkle Augen. Die Tatsache, dass ich sie nicht kannte, war nicht weiter verwunderlich, da die meisten festen Hotelangestellten am Wochenende freihatten und durch Aushilfen ersetzt wurden. Sie trug das offizielle blaue MAYFLOWER -Hemdblusenkleid mit dem goldenen Logo über der Brusttasche und hatte den üblichen Handwagen mit Reinigungszeug neben sich stehen. Vielleicht saß ihr Kleid ein bisschen zu locker, so als würde es ihr gar nicht gehören, aber vermutlich wurden für die Aushilfen keine eigenen Uniformen angeschafft, sodass sie sich mit denen begnügen mussten, die gerade zur Verfügung standen.
»Was ist los?«, fragte Bram. »Wieso machst du nicht auf?«
»Alles in Ordnung«, sagte ich und kam mir wie eine Idiotin vor. Trotzdem hielt ich weiter die Tür fest und konnte mich nicht dazu durchringen, sie ganz zu öffnen. Ich wusste nicht genau, was mich so irritierte, und kam schließlich zu dem Schluss, dass es die Augen der Frau sein mussten. Es gibt Menschen, von denen sagt man, sie hätten »schwarze« Augen, aber bei genauerer Betrachtung stellt man fest, dass sie in Wirklichkeit dunkelbraun sind. Die Augen dieser Frau fielen allerdings nicht in diese Kategorie. Sie waren pechschwarz, sodass die Pupillen sich nicht von der Iris abhoben und das ganze Gesicht beherrschten.
»Warum machst du denn dann nicht auf?«, fragte Bram noch einmal.
»Tu ich doch gerade«, antwortete ich und zog die Kette zurück, als ich plötzlich wusste, was mich so irritierte. Meine Aufmerksamkeit war so von den Augen des Zimmermädchens in Beschlag genommen worden, dass mir zwei andere seltsame Dinge nicht aufgefallen waren. Ihre Wangen und ihr Kinn waren dunkler als der Rest ihres Gesichts und ihre Augenbrauen hatten nicht dieselbe Farbe wie ihre Haare. Meine Entdeckung musste sich als panische Grimasse auf meinem Gesicht widergespiegelt haben, denn bevor ich reagieren konnte, machte die Frau einen Satz nach vorn und warf sich mit der Schulter gegen die Tür, sodass ich wie ein nutzloser Türstopper nach hinten geschoben wurde.
»Bram!«, schrie ich. »Hilf mir, die Tür zuzuhalten!
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