Schweig wenn du sprichst
linken Hand auch. Albert hatte immer geraucht, daran erinnerte er sich noch sehr gut.
In Graz wurden wir in zwei Gruppen eingeteilt. Ich war nicht in Alberts Gruppe, aber wir sahen uns in unserer knappen Freizeit. Und wir teilten dasselbe Zimmer. Alle nannten Albert »den Schreiber«. Er war einer der wenigen von uns, der studiert hatte. Ich erinnere mich, dass er bei den Jesuiten in Hoogstraten seinen Abschluss gemacht hatte und noch ein Diplom von einem anschließenden Studium hatte, aber ich weiß nicht mehr, was es war. Viele junge Männer im » SS -Ausbildungs- und Ersatzbataillon« hatten noch nie in ihrem Leben einen Brief geschrieben, daher diktierten sie Albert, was sie nach Hause schreiben wollten. Albert ließ sie erzählen und schrieb dann den Brief. Darin war er gut. Alle zogen ihn ins Vertrauen. Ich glaube, dass Albert nach einiger Zeit so ungefähr alles über seine Kameraden wusste. Über ihre Familie, Freunde, Arbeit, Geliebte, Kinder, finanzielle Probleme. Aber er war sehr diskret. Und die Jungen teilten ihm die Antworten, die sie bekamen, auch immer mit. Er verwendete beinahe jede freie Stunde darauf.
Nach der dreimonatigen Ausbildung sind dann hundertneunzehn Mann nach Breslau aufgebrochen. Das war im Juni 1942. Dein Vater war nicht dabei, da bin ich mir sicher. So habe ich den Kontakt zu ihm verloren und ihn auch später nie mehr gesehen. Ich hoffe, dass du von anderen mehr erfährst und dass du seine Spur wiederfindest. Ich kann mir vorstellen, wie wichtig das für dich sein muss. Sollte ich noch Informationen finden, lasse ich sie dir bestimmt zukommen.
Alles Gute.
Mit aufrechtem flämischen Gruß
Raymond
13
8. April 1944
Endlich. Das lange Warten wird belohnt. Ich fahre mit zwei anderen flämischen Schwestern nach Breslau. Endlich werden auch wir in dem Kampf eingesetzt, für den wir unser Land zurückgelassen haben. Unser Kampf wird einer gegen den Schmerz und den Tod sein. Wir reisen über Österreich nach Polen und werden dem Reservelazarett X zugeteilt. Unsere Jungs, die von der Front zurückkommen, brauchen unsere Kraft, unsere völlige Hingabe und so viel Wärme und Freundschaft, wie wir ihnen geben können. Wir sind darauf vorbereitet, auch andere Soldaten zu betreuen. Es liegen Schweden und Spanier, Finnen und Holländer dort, wurde uns erzählt. Viele sind sehr schlecht dran. Wir werden all unser Wissen und unsere Kraft brauchen und Tag und Nacht arbeiten müssen. Wir haben gestern Abend Abschied von den anderen Schwestern genommen. Manche bleiben noch, bis auch sie die längliche Brosche tragen dürfen, andere kehren nach Hause zurück. Sie wurden für nicht gut genug befunden oder wollten selbst zurück. Wir nicht.
Unsere Jungs haben ein Anrecht auf ein Stück Heimat, das wird ihre Leiden lindern. Wenn wir hinkommen, werden wir zuerst das Lazarett neu einrichten müssen. Es war an der Front im Einsatz, wurde aber hinter die Linien zurückgezogen, weil es nicht mehr funktioniert hat. Der Obersturmbannführer, der uns alles erklärt hat, reist mit uns. Auf den Brief, den ich nach Hause geschrieben habe, kam nie eine Antwort. Obwohl ich das irgendwie erwartet hatte, tut es doch weh. Ich werde mit diesem Schmerz leben müssen und das Leben so akzeptieren, wie es ist. Machteld sagte so schön, dass mein kleiner Schmerz verschwinden werde, wenn ich die Soldaten sehen würde, die von der Front zurückkehren. Ich fürchte, dass sie damit recht behalten wird. Wir sind inzwischen gute Freundinnen geworden und froh darüber, dass wir zusammen reisen. Ich schreibe mehr, wenn wir angekommen sind und etwas Zeit haben.
P.S. Das Mädchen auf der Zeichnung ist Machteld. Der Mann ist der SS -Leutnant, der mit uns reist. Könnte besser sein. Weiß ich.
14
Es war Frühling und Moira gab keinen Mucks von sich, als Victor und Lilly sie gemeinsam in ihrem weißen Taufkleid über das Taufbecken hielten. Lillys Familie war die weite Strecke mit dem Zug angereist, um dabei sein zu können. Das Wetter war mild und sonnig und der Tag verlief besser, als sie es sich vorgestellt hatten.
Victor hatte sich Zeit genommen und schließlich zu Lilly gesagt:
»Ich sehe ein, dass mein Widerstand gegen ihre Taufe genauso wenig mit Moira zu tun hat wie dein Wunsch, es doch zu tun. Lass uns also zusammen die Taufe organisieren.«
Der katalanische Priester war Lillys Wahl gewesen. »Sogar du wirst ihn gern mögen«, hatte sie gesagt.
Der Priester begrüßte die ungefähr vierzig Anwesenden: »Seid alle
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