Schweig wenn du sprichst
auch immer das bedeuten mag. Am Nachmittag werden wir den Zug nehmen. Wir kommen gegen drei Uhr in Koflach an und werden dann bei Bauernfamilien einquartiert. Sie haben das ganze Jahr über flämische Kranke und Genesende zu Besuch, oder einfach freigestellte Soldaten, die aus Geldmangel nicht nach Hause können. Nach unseren Einkäufen von heute gehöre ich auch dazu. Wir sind nervös und kichern herum.
Koflach … Wir kommen!
23
Victor saß auf dem breiten Sofa und hörte zu, wie Lilly von Belgien erzählte. Sie fand, für sie und Moira sei eigentlich alles gut gelaufen.
»Für mich eigentlich auch«, sagte Victor. »Ich habe zum ersten Mal das Gefühl, dass ich Fortschritte mache.«
»Das liegt vermutlich nicht an deiner Mutter«, sagte Lilly.
»Nein, sie bleibt bei ihrer Haltung. Ihren Frontalangriff auf die Vaterschaft im Allgemeinen – und meine im Besonderen – werde ich so schnell nicht vergessen. Aber nach allem, was Walter mir erzählt hat, wundert es mich auch nicht.«
»Was hast du denn noch rausgekriegt?«, fragte Lilly.
»Wir haben eigentlich am meisten über die Beziehung zwischen meinen Eltern gesprochen. Walter hatte immer ein großes Problem mit der Art, wie meine Mutter meinen Vater behandelt hat.«
»Wie meinst du das?«
»Na ja, weil er völlig von ihr abhängig war, hatten Walter und mein Vater ein wöchentliches Ritual eingeführt. Walter ging jeden Mittwochmittag mit einem Stapel Unterlagen zu Martha, ließ sie alle Dokumente unterzeichnen und erledigte dann die Überweisungen, vertraglichen Dinge und alles, was eben zu tun war. Aber sie stellte sich stur und verlangte, dass mein Vater alles selbst mit ihr regelt. Sie hat pausenlos nach zusätzlichen Informationen und Erklärungen gefragt, bevor sie unterschrieb. Manchmal weigerte sie sich auch, weil sie schlechte Laune hatte oder weil sie wegen etwas anderem Streit hatten. Oder sie ließ ihn einfach nur sehr lange warten.«
»Victor, so wie du es erzählst, scheint es so, als wollte deine Mutter deinen Vater schikanieren oder bestrafen. Das kann ich mir nicht vorstellen.«
»Ich schon.«
»He, Macho«, sagte Lilly verärgert. »Bist du schon mal auf die Idee gekommen, dass deine Mutter so vernünftig war, nicht einfach alles zu unterschreiben, was ihr vorgelegt wurde? Ich meine, das war alles auf ihren Namen eingetragen, sie hatte also eine ganz schöne Verantwortung. Außerdem: Was hätte sie damit erreicht?«
»Mir kommt es eher wie eine Abrechnung vor. Eben, was in Gottes Namen wollte sie damit erreichen?«
»Aufmerksamkeit, Victor, Aufmerksamkeit. Vergiss nicht, dass sie sieben Jahre ohne ihn gelebt hatte, dass sie in der Zwischenzeit ihr erstes Kind ganz allein großziehen und arbeiten musste, um am Leben zu bleiben. Das darfst du bei alldem nicht vergessen. Natürlich wollte sie, dass dein Vater bei wichtigen finanziellen Entscheidungen anwesend war und nicht einfach den erstbesten Mitarbeiter schickte. Komm schon, das kannst sogar du verstehen, oder?«
Victor sah Lilly an und wunderte sich, dass sie die Diskussion so persönlich nahm.
»Und was ist mit Vertrauen?«, fragte er.
»Das hat doch nichts mit Vertrauen zu tun. Sie hatte endlich ein Leben, einen Mann an ihrer Seite. Sie wollte das einfach auskosten.«
Victor legte seinen Arm um ihre Schultern. »Ich wünschte, die Erklärung wäre so einfach«, sagte er. »Aber ich glaube, da steckt mehr dahinter.«
Lilly nahm seinen Arm von ihrer Schultern. »Mit dieser Einstellung kannst du mich gar nicht verstehen«, sagte sie. »Du bist immer noch viel zu böse auf deine Mutter. Räum das erst mal aus dem Weg und du wirst sehen, dass viele Dinge einfacher sind, als du denkst. Vertrau mir«, sagte sie. »Und vertrau auf jeden Fall deiner Mutter etwas mehr.«
Im selben Augenblick, als das Fax piepte, klingelte auch sein Handy. Er schaute sich die Nummer auf dem Display an. Es war Anna. »Tag, Schwester.«
»Victor, ich schicke dir auf Bitte von Mutter gerade ein Fax. Heute Morgen, als ich bei ihr war, habe ich übrigens die Fotos von Moira gesehen. Was für ein hübsches Mädchen, und so groß!«
»Worum geht es in dem Fax?«
»Das wirst du schon sehen. Ich glaube, dein Besuch war wichtig für sie. Sie wirkte völlig verändert; bescheidener, hatte ich den Eindruck.«
Victor zog seine Faust in der Luft nach unten und machte eine Mundbewegung für »Yes!« zu Lilly hin.
»Kannst du mich zurückrufen, wenn du das Fax gelesen hast?«
»Mache ich. Danke und bis
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